Durchmischtes Quartier

Autor:
Peter Petz
Veröffentlicht am
März 16, 2011

RKW Rhode Kellermann Wawrowsky gewinnen den Wettbewerb um das Quartier am Mailänder Platz in Stuttgart. Dieter Schmoll stellt sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
Modell (Foto: Norbert Post Hartmut Welters, Dortmund) 
Wie haben Sie die Aufgaben des Wettbewerbs für das „Quartier am Mailänder Platz“ in Stuttgart gelöst?
Der Siegerentwurf realisiert die Idee einer lebendigen europäischen Stadt. Denn das in der Umgebung vorhandene sensible Geflecht von Straßen, Gassen und Plätzen erfordert eine Architektur, die ebenso spannungsvoll darauf reagiert. Für uns lag es daher nahe, für das „Quartier am Mailänder Platz“ einen Entwurf nach mediterranem Vorbild zu entwickeln. Das zeigt sich zum Beispiel in der belebten Ausprägung der Fassaden mit Balkonen und Loggien. Es entstehen lebendige Zonierungen im Spannungsfeld zwischen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Bereichen, die jedem Bewohner Rückzugsmöglichkeiten bieten. Die Vielzahl der neuen Wohnadressen wird für eine lebendige Durchmischung des Quartiers sorgen, das vielfältige Funktionen wie innerstädtisches Wohnen, Einzelhandel, Hotel und Büro beinhalten soll. Für die insgesamt etwa 450 Wohnungen haben wir eine beispiellose Aufenthaltsqualität geschaffen.
Blick vom Mailänder Platz 
Was hat sich die Stadt Stuttgart von der Ausschreibung versprochen?
Die Herausforderung nicht nur für die Stadt, sondern auch für die Architekten, besteht darin, in nur kurzer Zeit eine Stadterweiterung zu realisieren, die in seiner Größe einem beträchtlichem Teil der Stuttgarter Innenstadt entspricht. Normalerweise wird eine Stadt im Laufe von Jahrhunderten gebaut. Beim neuen Quartier muss daher mit hoher Sensibilität und großem Respekt vorgegangen werden – besonders im Hinblick auf die zukünftigen Bewohner, damit dieses Quartier eine Qualität erhält, die es letztendlich selbstverständlich macht.
Dachaufsicht 
Das bedeutet eine nachhaltige städtische und urbane Qualität, die in kurzer Zeit realisiert werden muss. Wie fügt sich das Projekt in den städtischen Kontext ein? Welche Freiraumqualitäten bietet der Entwurf?
Das Thema Freiraumqualität ist ein wichtiger Aspekt, weil wir uns dabei von dem abgesetzt haben, was ursprünglich geplant war. Nach ersten Testentwürfen entstanden allzu strenge preußische Blockrandstrukturen. Wir haben diese Strukturen in unserem Entwurf aufgebrochen, so dass lebendige urbane Räume entstehen. Stadtraum definiert sich ja nicht nur über Gebäude, sondern auch über die Abstände zwischen ihnen. Wir haben die Baustrukturen bewusst aufgelockert, so dass eine spannungsvolle Wechselbeziehung zwischen den Blockinnenräumen und dem Außenraum entsteht. Das heißt, die künftigen Bewohner und Besucher werden die Stadt Stuttgart in ganz neuen Perspektiven erleben können.
Grundrisse 
Sie lösen den Gedanken der Blockrandbebauung hin zu einzelnen Stadthäusern auf, die schließlich die Charakteristik der drei Blöcke ausmachen.
Wir haben uns vor dem Wettbewerb intensiv mit der städtebaulichen Situation von Stuttgart auseinandergesetzt. Die Stadt ist weniger durch Blockrandbebauung geprägt, als vielmehr durch Einzelhäuser, die dicht aneinander gebaut sind. Diese Gruppierungen von Einzelhäusern bilden dann einen Block. Das führt zu größerem Variantenreichtum und einer ganz eigenen urbanen Qualität. Darin sehen wir einen ganz großen Vorteil.
Nun staffelt sich die Architektur auch in die Höhe. Wie gehen Sie mit der Schichtung der einzelnen Strukturen um?
Die Schichtung ist durch den Bebauungsplan sehr stark vorgeprägt. Die ehemalige Topographie des brachliegenden und ehemals als Güterbahnhof genutzten Geländes wird wieder hergestellt. Das führt dazu, dass ein starkes Gefälle zustande kommt und dadurch das Handelsobjekt unerwartet drei unterschiedliche Erdgeschossebenen erhält. Besucher können von der Heilbronner Straße, vom Mailänder Platz oder von der Londoner Straße auf drei verschiedenen Ebenen in das Objekt gelangen. Alle Ebenen in gleicher Weise frequentiert zu haben, ist ein großer Vorteil für ein Shopping Center.
Ansichten, Schnitte 
Das kommt auch der Architektur in ihrer vertikalen Entwicklung zugute.
Die vertikale Entwicklung hat allerdings Grenzen. Sie endet da, wo der Bebauungsplan seine Zulässigkeit hat. Wir bewegen uns in einem sehr engen Rahmen der städtebaulichen Möglichkeiten. Als das Sieger - Modell im städtebaulichen Gesamtzusammenhang gesehen wurde, bemerkte man die Plausibilität der Vorgaben, die durch den städtebaulichen Entwurf von Trojan und Trojan mit seinen verwinkelten Straßen und Gassen gegeben waren.
Gesicht zu Stadt und zur Wolframstraße 
Und die Topographie führt dann auch in den einzelnen Objekten nicht mehr zu einer Funktionstrennung, sondern zu einer Funktionsmischung.
Wir wollten keine horizontale Funktionstrennung, sondern eine Durchmischung, das zeigen auch die Ergebnisse des Wettbewerbs. Wir haben da keinen Unterschied zwischen den oberen und den unteren Geschossen gemacht. Die einzelnen Häuser wirken vielmehr so, als würde man sich in einer gewachsenen Innenstadt bewegen. Wir haben die einzelnen Baublöcke sehr differenziert betrachtet und mit unterschiedlichen Materialien und Charakteristiken gearbeitet. Einige Baublöcke haben Balkone, die anderen nur Loggien. Es findet eine feine Differenzierung statt, die im Rahmen einer größeren Gesamtordnung alles als einen zusammenhängenden Stadtraum erkennen lässt.
1. Obergeschoss 
Wie organisieren Sie die Verkaufsflächen?
Die Organisation der Verkaufsflächen wird im Grundsatz durch die ECE vorgegeben. Das Besondere daran ist, dass sie sich gerade am Mailänder Platz nach außen hin öffnen. Dadurch entstehen notwendige Verbindungen zwischen Innen und Außen. Hier wird im Übrigen die Gastronomie einen großen Flächenanteil erhalten.
Blick in einen Wohnhof 
Wie bewerten Sie die Gewichtung des Themas Wohnen im gesamten Projekt?
Wohnen ist ein ganz entscheidender Faktor, weil es in die Stadt gehört. Eine Stadt sollte nicht nur über Besucher, sondern auch über Bewohner verfügen. Nur eine lebendige Nutzung sorgt für Authentizität und dafür, dass zum Beispiel auch nach zwanzig Uhr noch etwas los ist. In ihrer differenzierten städtebaulichen Struktur verfügen die von uns entworfenen Häuser über Innenhöfe, in denen ein Stadtteilleben im halböffentlichen Raum stattfinden kann. Es gibt spannungsvolle Beziehungen zwischen der privaten Sphäre des Wohnens und den halböffentlichen Bereichen, so dass sich lebendige Nachbarschaften entwickeln können.
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?
Wir hoffen noch in diesem Jahr eine Baugenehmigung zu erhalten. Eine Baumaßnahme mit diesem gewaltigen Volumen wird eine Bauzeit von mindestens zwei bis drei Jahren benötigen, so daß die Eröffung des Shopping Centers für den Herbst 2014 und die Gesamtfertigstellung für 2015 geplant ist.
Modell (Foto: Norbert Post Hartmut Welters, Dortmund)) 

Die gesamte Wettbewerbsdokumentation finden Sie in wa 03/2011
Quartier am Mailänder Platz in Stuttgart
Begrenzt offener Wettbewerb mit Bewerbungsverfahren

Jury
Prof. Carl Fingerhuth, Vors.
Michael Biedermann
Ingrid Dreer
Andreas Fuchs
Kaspar Kraemer
Dr. Detlef Kron
Markus Lentzler
Prof. Ulla Luther
Wolfgang Riehle
Prof. Christiane Thalgott

1.Preis
RKW Rhode Kellermann Wawrowsky
Düsseldorf

2. Preis
Grüntuch Ernst Architekten GmbH
Berlin

3. Preis
Ortner & Ortner Baukunst Ges. v. Architekten mbH
Berlin

4. Preis
Wilford Schupp Architekten GmbH
Stuttgart