Erinnerungsort

Autor:
Peter Petz
Veröffentlicht am
Aug. 24, 2011

Kastner Pichler Architekten werden für das Projekt Erinnerungsort Topf & Söhne in Erfurt mit einem „best architects 12“ Award in Gold ausgezeichnet. Konstantin Pichler beantwortet unsere Fragen.
Topf und Söhne – die Ofenbauer von Auschwitz. 
Wie gingen Sie mit der Themenstellung um? Was erwartet die Besucher?
Es ist ein schweres Thema, das wir hier zu bearbeiten hatten. Anfangs waren wir enttäuscht, wie sehr das Gebäude bereits ausgeblutet war, und wir konnten nur zur Kenntnis nehmen, dass der überwiegende Ausbau verloren war. Kulissen wollten wir in Anbetracht der damaligen Geschehnisse nicht bauen. Doch je mehr wir uns mit dem Gebäude beschäftigten, wurde uns klar, dass der Hauptbestand des originalen Gebäudes erhalten war: Seine Mauern und die Spuren seines Wandels, einschließlich der aktuellen, gerade abgeschlossenen Umbauten. Hier hat Kurt Prüfer für Ausschwitz und Buchenwald die Technik erdacht, die die furchtbaren Verbrechen an der Menschheit ermöglichte. Das sollte sich unverdeckt und nackt ohne Verfälschung zeigen. Alle Spuren des Bestandes und die seiner Veränderungen sollten schonungslos gezeigt werden, ohne sich aber aufzudrängen, im besten Fall zum gefühlten Zeitsprung verhelfen, den Besucher darin unterstützen, sich in die Zeit der Geschehnisse von damals einzufinden. Das, was hier zu tun war, ist keine alltägliche Aufgabe und musste prozesshaft erarbeitet werden. Rückschläge mussten hingenommen werden.
Wenn die zukünftigen Besucher hier in die Zeit eintauchen, um sie sich zu eigen zu machen, um daraufhin etwas mitnehmen zu können, was sie für sich im Sinne der Demokratie und der Verantwortung eines jeden Menschen an neuer Erkenntnis gewonnen haben, dann hätte sich der große Einsatz, der über Jahre hinweg für den Prozess der Entstehung eingebracht wurde, gelohnt.
Stelen aus Cortenstahl zeichnen die Standorte der ehemaligen Mauerpfeiler und Teile der Tore nach. 
Wie eng war die projektbezogene Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber?
Die Stadt Erfurt, Stadtplanungsamt und Denkmalpflege arbeiteten zu der Zeit – bereits vorausschauend planend und noch im Hintergrund – gegen den bereits fast ausufernden Zerfall und die möglicherweise zu weit gehenden Bereinigungsabsichten des für die Erinnerung unverzichtbaren Ortes. Es wurde vom Stadtplanungsamt in Kooperation mit Denkmalpflege, Frau Dr. Schüle, Kuratorin des Erinnerungsortes und uns die Idee geboren, nicht der ursprünglichen Absicht zu folgen, nur das ehemalige Verwaltungsgebäude als Kopfstück der ehemaligen Fabrikgeländes aus dem Zusammenhang zu reißen, es außen unmittelbar der angrenzenden Belanglosigkeit zu überlassen und einfach als Ausstellungsgebäude zu nutzen. Ein Stück Fabrikgelände sollte nunmehr erhalten werden, das Verwaltungsgebäude im Teil im Kontext – dem ehemaligen Hauptzugangsgelände der Fa. J.A.Topf und Söhne – lesbar gemacht werden.
Das ehemalige Verwaltungsgebäude ist damit nicht vollständig aus dem historischen Zusammenhang gerissen. Das Gelände konnte zumindest am ehemals repräsentativen Firmeneingang in seiner ursprünglichen Topografie abstrahiert hergestellt werden. Historisch relevante benachbarte Bauteile konnten aus der Rolle der Verwahrlosung befreit in seinen ursprünglichen Kontext gestellt und für didaktische Nutzung herausgearbeitet werden. Es konnten außen weitere, heute weithin sichtbare Zeichen und Signale, gesetzt werden, die den Besuchern für ihre Erinnerungsarbeit zur Verfügung stehen.
Dauerausstellungsbereich in den ehemaligen Zeichensälen der Firma J.A.Topf und Söhne. 
Welche Eingriffe haben Sie für die Umsetzung der Ausstellung vorgenommen?
Die Außen-Fassaden wurden repariert. Die Reparaturarbeiten an Rissen sind heute ablesbar. Es existierte ein Verbindungsbauwerk an der Ostseite des Gebäudes. Der Abriss wurde am Osteingang kenntlich gemacht.
Das Innere des Gebäudes haben wir für die Dauerausstellungsbereich – dem ehemaligen Arbeitsbereich Kurt Prüfers – nach außen gewendet, um zu verdeutlichen: Eine Reihe raumhoch in die Wände geschnittene neue Öffnungen weisen dem Besucher einen neuen Weg. Die vorgefundenen Türen und die Räume verbleiben am Ort und werden ihrer ursprünglich zugedachten Funktion enthoben. Alle mit der Zeit addierten Schichten wie Tapeten, Graffitys et cetera wurden bis auf den authentischen Grund – den nackten Putz- entfernt. Bei den Arbeiten mussten immer wieder Verluste hingenommen werden. Wände mussten wegen Baufälligkeit aufgegeben werden, einiges kam neu zum Vorschein.
Hier eine mit 1945 datierte Skizze einer Person mit Stahlhelm, dort eine gusseiserne Klappe mit dem original Topflogo. Immer wieder kam eine Stunde null – in beide Richtungen. Durch eine neue jetzt transparente seidig glänzende Schicht wurden alte und neue Eingriffe am Gebäude als Teile der Geschichte zusammengeführt und lesbar. Wände, Reste von Türen, Fliesen, alte Geländer und die Zeichnungen der Handwerker, die diese Mauern zu seiner Entstehungszeit errichteten, werden zu berührbaren Ausstellungsstücken. Alle Eingriffe schaffen eine ungewohnte Sehweise auf das Haus und schaffen Distanz. Durch die Farbgebung und die Haptik der transparenten neuen Schicht wird der Blick verstellt, um ihn neu zu öffnen. Das Haus wird zum Exponat.
Durch die Farbgebung und die Haptik der transparenten neuen Schicht wird der Blick verstellt, um ihn neu zu öffnen. Das Haus wird zum Exponat. 
Wie gingen Sie die Themen Material, Oberflächen und Licht an?
Die Wände suchen die Verwandtschaft zu den gleichfarbenen Dokumenten aus der entsprechenden Zeit und die hier entstanden sind.
Die Ausblicke von den ehemaligen Zeichensälen und Arbeitsräumen auf die Umgebung werden durch transluzente Beschichtungen der Fensterscheiben verwehrt. Durch das gefilterte Tageslicht entsteht eine kontemplative Stimmung, die es dem Besucher ermöglicht, sich konzentriert und unabgelenkt auf den Ort des damaligen Geschehens und die darüber berichtende Ausstellung einlassen zu können. Lediglich der Blick von Kurt Prüfer, des maßgeblichen Konstrukteurs der Öfen für Auschwitz, auf Buchenwald und die nahe gelegenen Bahngleise werden ermöglicht, um Zusammenhänge und Dimensionen des Geschehens aufzudecken.
Boden und Ausstellungeinrichtung (ehemalige Wanderausstellung, Gestaltung Hans Dieter Schaal) sind Bestandteil des neuen Weges. Sie erhalten als neu eingebrachte Schicht – ehemals Wanderausstellung, heute verortet im authentischen Raum – einen unifarbenen Ton, der sich in seiner monochrom deckenden Eigenschaft im Gegensatz zu den Wänden zeigt und sich hiervon abhebt.
So entsteht nunmehr ein Spannungsbogen zwischen Ort und Inhalten, die sich im Dipol zu einem Gesamtkonzept zusammenfinden.
Das erhaltene Treppenhaus wurde in den Ausstellungsrundgang integriert. 
Können Sie uns durch den Ort führen?
Das ehemalige Verwaltungsgebäude der Firma J.A. Topf & Söhne wirkt nunmehr als Solitär. Ein Zitat an der Nordwestecke des Gebäudes, die Grußformel „…stets gern für Sie beschäftigt…“ unter einem Geschäftsbrief vom 2. Februar 1943 an die Zentralbauleitung der Waffen-SS und Polizei in Auschwitz, gibt einen ersten Hinweis auf die Inhalte der Ausstellung, die sich dem Besucher während der Begehung des Geländes und des Hauses erschließen sollen.
Der ehemals Ankommende wurde am Sorbenweg von einer pfeilergestützten Begrenzungswand zu den beiden Einfahrtstoren der Firma geleitet. Der Zugang wurde über eine Pforte kontrolliert.
Heute ist die Begrenzung durchlässig. Das Gelände ist einsehbar und und kann ohne Kontrolle betreten werden.
Stelen aus Cortenstahl zeichnen die Standorte der ehemaligen Mauerpfeiler und Teile der Tore nach.
Diese Objekte dienen in ihrer Signalhaftigkeit sowohl der Erinnerung und als auch der Veranschaulichung.
Um das Verwaltungsgebäude in seinem historischen Kontext lesbar zu machen, wurden Gebäude- und Bodenfragmente wie Außenmauern, Betonböden, Podeste, Wege und ähnliches bis zu einer Höhe von zirka 50 Zentimeter über dem Geländeniveau lesbar gemacht..
Die nicht bis 1945 als Betriebsflächen zu datierenden Bereiche wurden geräumt und mit einer monochromen Basalt-Splitt-Decke als Rahmung für die historischen Fragmente ausgebildet. Die authentischen Spuren sind so klar abgegrenzt.
Die Fläche um das ehemalige Verwaltungsgebäude wird zu einer berührbaren Karte der Erinnerung, die über den Balkon an der Westfassade in die Ausstellung und in didaktische Veranstaltungen einbezogen werden kann.
Das Gelände-Relief wird von Gehwegen umsäumt, die sich von der Gestaltung der Flächen mit historischen Spuren und Splittbelag deutlich abheben. Sie bilden gemeinsam mit den Baum bestandenen Parkplätzen den „Alltag“. Hier entsteht ein prägnanter Schnitt zwischen Alltag und Erinnerung, der gleichzeitig eine Schwelle zu diesem besonderen Raum im neu geschaffenen Stadtgefüge beschreibt. Gleichwohl grenzt sich der Erinnerungsort, der durch diesen umlaufenden Schnitt im Gelände definiert ist, nicht gegen seine Umgebung ab. Der Zugang ist einfach, offen und von allen Himmelsrichtungen aus möglich.
Nahe dem nördlichen Zugang ist ein Ort des Gedenkens für die Opfer der damaligen Verbrechen errichtet. Der „Stein der Erinnerung“ liegt wie ein Riegel über dem ehemals repräsentativen Hauptzugang.
Ein großes begehbares Massenmodell auf Stützen, etwa im Maßstab 1 : 50, zirka 15 Zentimeter über Gelände, aus Stahlguss – im Herstellungsprozess wie die Türen der Verbrennungsöfen gefertigt –, zeichnet den gesamten Betrieb in seiner Ausdehnung 1945 nach. Es flankiert – etwas angehoben auf einer bestehenden Betonplatte – den Eingang zum Gebäude. Das Modell steht in direktem Bezug zu den Spuren des ehemaligen Bestands und kann in unkomplizierter und anschaulicher Weise in didaktische Konzepte einbezogen werden.
Sieben Stelen aus Cortenstahl erinnern an einigen markanten Orten und Blickpunkten an das ehemalige Betriebsgeländes und die abgerissenen Produktionsgebäude.
(1) Ehemaliges Vewaltungsgebäude Topf & Söhne, Ausstellung 'Techniker der Endlösung'; (2) Modell Gesamtgebäude; (3) Stein der Erinnerung; (4) Authentische Gebäudeteile und Straßen; (5) Splitfläche Basalt; (6) Stelen, ehemalige Fabrikmauer. 
Der Besucher betritt das Haus wie ehedem über den historischen Haupteingang und gelangt über das noch erhaltene Treppenhaus in die oberen Geschosse.
In Teilen des Erdgeschosses, im ehemaligen Treppenhaus und im 3. Obergeschoss, dem ehemaligen Arbeitsplatz von Kurt Prüfer, wurden die Räume für die Dauerausstellung freigelegt.
Das 2. Obergeschoss steht für die Bereiche Pädagogik und Personal sowie für Wechselausstellungen zur Verfügung. Ein speziell für die Dauerausstellung produzierter Film über das Unternehmen und das Betriebsgelände zeigt Aspekte des Erinnerns im Zeitraffer. Für besondere Veranstaltungen wurde ein Seminarraum mit bis zu 100 Plätzen geschaffen und eine Besucherbibliothek eingerichtet.
In einem zukünftigen Bauabschnitt können den Besuchern Fundstücke aus dem Untergeschoss des Gebäudes und ein Filmraum zur Verfügung gestellt werden.
3. Obergeschoss Daueraustellungsbereich 
Ein großes begehbares Massenmodell aus Stahlguss, im Herstellungsprozess wie die Türen der Verbrennungsöfen gefertigt, zeichnet den gesamten Betrieb in seiner Ausdehnung 1945 nach. 
Das Modell steht in direktem Bezug zu den Spuren des ehemaligen Bestands und kann in unkomplizierter und anschaulicher Weise in didaktische Konzepte einbezogen werden. 

Mehr über den „best architects 12“ Award finden Sie hier


Erinnerungsort Topf & Söhne, Erfurt
„best architects 12“ Award

Jury
Prof. Piet Eckert | e2a eckert eckert
Zürich
Prof. Peter Sapp | querkraft architekten
Wien
Till Schneider | schneider+schumacher
Frankfurt am Main

Auszeichnung „best architects 12“
in Gold
Kastner Pichler Architekten
Köln

Projektleiter
Konstantin Pichler – ter Horst

Auftraggeber
Landeshauptstadt Erfurt

Tragwerksplanung
Bauprojekt Mülhausen/Thüringen

Entwurf
01|2005

Fertigstellung
01|2011

Leistungsphasen
1-5 / künstlerische Oberleitung

Nutzfläche
900 m²

Bruttorauminhalt
3500 m³

Fotografie
Konstantin Pichler – ter Horst