Stadteingang

Autor:
Peter Petz
Veröffentlicht am
Okt. 19, 2011

Ferdinand Heide gewinnt den Wettbewerb Neugestaltung des Rudolphsplatzes in Marburg und stellt sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
Stadteingang 
Welche Bedeutung hat der Wettbewerb für Marburg?
Mit der Neugestaltung des Rudolphplatzes und der Sanierung der Weidenhäuser Brücke wird eine signifikante Neugestaltung des Stadteingangs einhergehen. Die historische Situation ist infolge der veränderten Verkehrssituation nicht durch eine „kritische Rekonstruktion“ wieder herstellbar, jedoch kann durch eine neue Platzgestaltung in Kombination mit einem repräsentativen Neubau für die Stadtbücherei eine außergewöhnliche stadträumliche Qualität geschaffen werden. Die schönen, kraftvollen Bestandsgebäude, die den Stadtraum begrenzen – das imposante, ehemalige Dominikaner-Kloster, das die Universität beherbergt, der Fronhof, die ehemalige Volksbank und die alte Mühle – aber auch der Zugang zur Oberstadt und das Lahnufer sind eine hervorragende Grundlage für die Stärkung und Akzentuierung der stadträumlichen Situation vor der Marburger Altstadt.
Lageplan 
Wie haben Sie die Wettbewerbsaufgabe interpretiert?
In unserem Wettbewerbsbeitrag schlagen wir vor, einen Baukörper so neben dem stadtseitigen Brückenkopf zu platzieren, dass zusammen mit dem Mühlengebäude ein „Stadteingang“ entsteht, der nicht nur die Kante zwischen Stadt und Fluss thematisiert, sondern vor allem einen spannungsreichen Auftakt zur Stadtmitte darstellt. Das „Brückenhaus“ findet als Eingangsbauwerk der Bücherei und als „Veranstaltungshaus“ eine ideale öffentliche Nutzung. Baulich ist es eine Einheit mit einem Sockelbau, der die Kante zwischen dem Lahnufer und dem Platzniveau bildet und der eine bauliche Klammer zum Gebäude der historischen Volksbank herstellt. Ein Anbau an die Volksbank nimmt auf fünf Geschossebenen die Sachliteratur und die Verwaltung der Bücherei auf, während im Sockel die publikumsträchtigen Bereiche Belletristik, Zeitschriften und Medien untergebracht sind. Die besondere räumliche Qualität der Stadtbücherei liegt in ihrer offenen Gestaltung und in den Blickbeziehungen zur Lahn, zur Weidenhäuser Brücke und gleichermaßen zurück zur Stadt über einen verglasten „Oberlichtsaal“.
Rudolphsplatz 
Können Sie uns über den Rudolphsplatz führen als ob er schon fertiggestellt wäre?
Wir kommen, wie viele Besucher Marburgs, die Lahn über die Weidenhäuser Brücke querend und den Blick auf die einzigartige, imposante Oberstadt gerichtet, in die Stadt. Von der Brücke stellt sich die Lahn als attraktiver Landschafts- und Naherholungsraum dar, der in seinen grünen Uferzonen wichtige Fuß- und Radwegeverbindungen aufnimmt. Am westlichen Ufer, hinter Uferweg und Baumbestand, bildet die Stadtbücherei eine neue urbane Kante. Das steinerne Brückenhaus findet eine Fortsetzung in einem steinernen Sockel, auf dem eine filigrane Konstruktion Einblick in die Lesebereiche und Buchbestände der Bibliothek gewährt. Das Sockelbauwerk, das Brückenhaus und vor allem die Einbeziehung des alten Volksbankgebäudes in ein Ensemble verleihen der Stadtbücherei eine hohes Maß an Präsenz, ohne den sensiblen Ort zu verbauen.
Am Ende der Brücke haben wir die Möglichkeit, entweder über das Eingangsbauwerk von oben die Bibliothek – mit Blick in den Lesesaal – zu betreten, über die Freitreppe hinunter zum Ufer zu ge­langen, oder den neuen Platz aufzusuchen. Seine Gestalt basiert auf der Idee, zur Stadt einen urbanen befestigten Platzraum zu schaffen und zur Lahn eine bauliches Volumen, das ausge­wogen zwischen Zäsur und Transparenz vermittelt: Für die Transparenz und den räumlichen Bezug zur Lahn ist die Freitreppe neben dem Brückengebäude genauso von Bedeutung wie die trans­parente Oberlicht-Glaskonstruktion des Büchereisockels.
Geländestufen, die den Bibliothekssockel auf der Platzfläche markieren und die den Höhen­unterschied zur Eingangsebene der Volksbank bilden, strukturieren die Fläche. Eine Gruppe von Bäumen, zahlreiche Sitzgelegenheiten sowie die im Erdgeschoss des Altbaus befindliche Cafeteria der Bücherei bieten uns eine Verweil- und Aufenthaltsqualität.
Erdgeschoss 
Welches architektionische Thema war Ihnen besonders wichtig?
Die Neubauten – vor allem das Brückenhaus – spielen in einer zeitgemäßen Interpretation mit dem Archetyp der Marburger Altstadthäuser, die glücklicherweise die Stadt Marburg an vielen Stellen noch prägen: Steinerne schwere Sockel, auskragende Obergeschosse, schlanke vertikale Fassaden, hohe Schiefer gedeckte Dächer. Die Neubauten sollen in einer zeitgemäßen Konstruk­tion, Fügung und Sprache diesen Archetyp interpretieren. Neben dem genius loci ist das Ensemble gleichermaßen architektonisches Thema: So liegt ein wesentlicher Schwerpunkt des Entwurfs in der Umgestaltung und Anbindung der ehemaligen Volksbank. Die Bücherei aber auch weitere öffentliche Nutzungen werden in dieses Gebäude integriert. Anbau und Bücherei haben sensibel auf den Bestandsbau zu reagieren, selbstverständlich ohne sich in ihrem architektonischen Anspruch zurückzu­nehmen oder gar anzubiedern.
Schnittperspektive 
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?
Das gesamte Planungsverfahren, bei dem schon in einem sehr frühen Stadium weit vor der Wettbewerbsauslobung die Marburger Bürger in Foren und Workshops vorbildlich beteiligt wurden, sowie der einstimmig ausgewählte erste Preis, fanden in der Stadt großen Anklang.
Auf Basis meiner Arbeit werden in der Bürgerschaft und in der Politik auch zukünftig noch zahl­reiche Abstimmungen und Diskussionen zu führen sein. Die Stadtbücherei, die in den ver­gangenen Jahren einen großen Besucherzuwachs verzeichnen konnte, hat einen hohen Bedarf an neuen Flächen. Zusätzlich ist die Philipps-Universität-Marburg an einer Ausweitung ihrer Flächen im Umfeld des Rudolphplatzes interessiert. Ungeachtet der hochbaulichen Maßnahmen, steht der verkehrstechnische Umbau der stark befahrenen Kreuzung unmittelbar an. Aus meiner Sicht muss auch bei einer eventuell aus Kosten­gründen anstehenden Aufteilung in die Bauabschnitte Hoch- und Tiefbau eine grund­sätzliche stadträumliche Veränderung angestrebt werden. Hier liegt die einmalige Chance, mit einem öffentlichen Gebäude von architektonischer Qualität, einer neuen Platzgestaltung und der Brückensanierung für Marburg ein Stück richtungsweisenden Städtebau zu machen. Angesichts dieses Ziel und Anspruchs ist die Geschwindigkeit der Umsetzung zweitrangig.
Modell (Foto: BSMF mbH, Frankfurt am Main) 

Die komplette Wettbewerbsdokumentation finden Sie in
wa 10/2011
Neugestaltung des Rudolphsplatzes in Marburg
Begrenzt offener Wettbewerb mit Bewerbungsverfahren

Jury
Prof. Michael Braum, Vors.
Prof. Rainer Sachse
Reinhold Kulle
Waltraud Mechsner-Spangenberg
Jürgen Rausch
Prof. Wolfgang Schulze
Egon Vaupel Oberbürgermeister

1. Preis
Ferdinand Heide
Frankfurt am Main
L.Arch.: TOPOS Landschaftsarchitekten
Berlin

2. Preis
Olympia Chatzopoulou · Dimitra Figa
Thessaloniki
L.Arch.: Kiki Katsika

3. Preis
Jan Derveaux
Berlin
L.Arch.: Franz Reschke
Berlin