Fraktale Schule

Autor:
Peter Petz
Veröffentlicht am
Okt. 26, 2011

wulf architekten gewinnen den Wettbewerb Hessenwaldschule in Weiterstadt. Tobias Wulf stellt sich unseren Fragen zum Wettbewerb.
Blick auf den Haupteingang 
Welche Antworten gibt Ihr Entwurf auf die Frage, die der Wettbewerb stellt?
Der Auslobungstext stellt nicht nur viele Fragen, sondern beinhaltet auch Wünsche und Vorgaben. Daraus haben wir unsere eigene Entwurfsthematik für diese Aufgabe entwickelt. Wenn man schon eine ganze Reihe von Schulen gebaut hat, sucht man mehr und mehr nach dem Spezifikum der jeweiligen Entwurfsaufgabe – also wenn Sie so wollen tatsächlich nach der Frage, die dieser Schulbau-Wettbewerb stellt.
Hier geht es um einen besonderen Ort – einer Schule mitten im Wald. Sie ist als Relikt einer früher geplanten Gemeindegebietsreform übrig geblieben, die genau hier das Zentrum einer neuen Stadt Hessenwald vorsah, die die umliegenden Gemeinden zusammenfassen sollte. Das ist vielleicht für den Schulbetrieb nicht besonders wichtig, lädt diesen Ort und und diese Aufgabenstellung aber zusätzlich mit Bedeutung auf.
Diese Kenntnis zu vereinbaren mit dem ausdrücklichen Wunsch der Lehrerschaft, die Schule „von innen heraus nach außen zu denken“, wie es in einem Konzeptpapier formuliert ist, war für uns die wesentliche Herausforderung. Dabei wollten wir nicht in Klischees verfallen wie „im Wald muss alles aus Holz sein“ oder „das Gebäude muss sich auflösen, um die Natur nicht zu beeinträchtigen“ etc., sondern wir empfanden es als Ansporn, ein zeitlos gültiges Raumkonzept mit einer ebensolchen Architektursprache vorzuschlagen, die bei aller Klarheit und Ausgewogenheit spannend und charakteristisch ist. Es ging uns also um „architektonische Nachhaltigkeit“.
Cluster, Freiflächen, Raumbild 
Wie haben Sie auf den Kontext reagiert?
Wir haben großen Wert darauf gelegt, dass Gebäude und Freianlagen sehr eng zusammenspielen und als gestalterische Einheit verstanden werden. Die Waldlichtung wird vorsichtig belegt mit einzelnen Feldern und Körpern, die als Gesamtkomposition erscheinen. Die Anordnung wirkt auf den ersten Blick zufällig und fügt sich erst bei näherer Betrachtung zu einem kohärenten Ganzen. Innere und äußere Kräfte spielen ineinander und halten sich die Waage. Die einzelnen Baukörper haben begreifbare Dimensionen und scheinen sogar geneigte Dächer zu haben, was allerdings nicht stimmt, weil sich hinter der abgeschrägten Kontur Dachterrassen verbergen. Das Spiel von Innen und Außen findet sowohl in der Horizontalen wie auch in der Vertikalen statt. Dabei handelt es sich keineswegs um ein primär transparentes Gebäude, sondern um „richtige Häuser“ mit gemauerten Fassaden und Fenstern.
Lageplan 
Wie organisieren Sie die Hessenwaldschule?
Es handelt sich um eine kooperative Gesamtschule, die als Ganztagesschule für 700 Schüler mit integrierter Förderschule geführt wird. Das besondere Lehrkonzept dieser Schule ist gekennzeichnet durch „frontalunterrichtsfreie Beratung“ der Schüler durch die Lehrkräfte und äußert sich organisatorisch als „fraktale Schule“, die die Identifikation der Jahrgangsbereiche hervorhebt.
Diese Jahrgangsbereiche bilden die Korngröße für die Klassenhäuser und sind strukturgebend für den Gebäudeentwurf. Da die Schüler aus zwei entgegen gesetzten Richtungen kommen, gibt es zwei Eingänge, die ins kommunikative Zentrum der neuen Schule führen. Dies besteht weniger aus Verkehrsfläche als vielmehr einer großen Pausenhalle mit angeschlossener Aula, die „diesen Namen auch verdient“ (Zitat Jury).
Etappierung, Organisation 
Welches architektonische Thema war Ihnen besonders wichtig?
Wichtig ist die Maßstäblichkeit – also die Gliederung des Bauvolumens in begreifbare Häuser. Deren Anmutung ist auf den ersten Blick in Bezug auf Form und Perforierung nicht außergewöhnlich. Erst beim näheren Hinsehen sollen die schon im Wettbewerbsentwurf angelegten architektonischen Details, wie zum Beispiel die Ausbildung der Fensterlaibungen, der Dachabschluss und die Oberflächentextur, für die Spannung des Besonderen sorgen. Was für die Ausgewogenheit der Volumina im Äußeren gilt, entspricht Raumproportionen und Raumerlebnis im Inneren. Die Wegeführung ist eindeutig und zugleich auch reizvoll in Bezug auf das Raumgefühl und das Verhältnis von hell und dunkel – also die kontrollierte und bewusste Lichtführung. Dazu kommt das Verhältnis von Innen und Außen, das erst durch den Wechsel von offen und geschlossen wirklich interessant wird. Die Dachterrassen bilden erhöhte aber geschützte Außenräume, die die Lage im Wald für die Sinne besonders einprägsam erfahrbar machen.
Ansicht Ost, Erdgeschoss, Schnitt 
Welche Materialstrategie schlagen Sie vor?
Die Materialität spielt bei uns von Beginn des Entwurfsprozesses an eine wichtige Rolle. Eine Architekturvision ohne Materialvorstellung ist für uns kaum denkbar. Über die sinnliche Wahrnehmung von Architektur wird bei uns viel nachgedacht. So entsteht ein Materialkonzept, das sich zwar im Lauf der Planung weiterentwickelt, dessen Eckpfeiler aber sehr früh vorhanden sind. Darüber wird ähnlich wie bei der Entwicklung des städtebaulichen Grundkonzeptes in der Gruppe diskutiert, die Entwürfe selbst entstehen prinzipiell unhierarisch. In diesem Fall haben mein Kompagnon Alexander Vohl und der Projektarchitekt Camilo Hernandez grundlegende Aspekte beigetragen.
Die Fassaden aus geschlämmtem Sichtmauerwerk betonen die Hochwertigkeit des Bauwerks durch die sich subtil ändernde Wahrnehmbarkeit bei im Tagesverlauf schwankenden Lichtverhältnissen. Es ist wichtig hochwertige Materialien rechtzeitig entwurfsimmanent zu verankern, damit sie spätere „Optimierungsprozesse“ überstehen.
Detail 
Gibt es schon einen geplanten Fertigstellungstermin?
Darüber gibt es sicherlich Vorstellungen. Wir haben hier die Situation, dass der gesamte Bauprozess in mehreren Abschnitten verlaufen muss, da der Schulbetrieb aufrecht erhalten werden soll. Daraus ergeben sich Abhängigkeiten, die genau geplant und kalkuliert sein müssen. Auf diesem Sektor haben wir in der Vergangenheit einige Erfahrungen angesammelt und sind deshalb vorsichtig mit der Veröffentlichung von Wunschterminen. Es wird rechtzeitig fertig werden.
Modell (Foto: stadt.bau.plan GmbH, Darmstadt) 

Die komplette Wettbewerbsdokumentation finden Sie in
wa 10/2011
Hessenwaldschule in Weiterstadt
Begrenzt offener Wettbewerb mit Bewerbungsverfahren

Jury
Ferdinand Heide, Vors.
Prof. Johann Eisele
Angela Bezzenberger
Holger Gehbauer

1. Preis
Wulf Architekten
Stuttgart
L.Arch.: Adler & Olesch
Mainz

2. Preis
Loewer + Partner Architekten
Darmstadt
L.Arch. : Bittkau-Bartfelder
Wiesbaden

3. Preis
Eller + Eller
Berlin
L.Arch. : jbbug Büro für urbane Gestalt
Köln