Weil eine Ansammlung von Skulpturen keine Stadt ergibt

LORENZATELIERS
17. June 2022
Foto: Martin Steinkellner

 

Herr Lorenz, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe? 

Im europaweiten Wettbewerb (2015) waren die essenziellen Funktionen des Gebäudes eigentlich präzise beschrieben. Doch wir haben zusätzlich einen Lebensmittelmarkt, eine Lehrmittelstelle, ein Café, ein Geschäft, eine Kinderkrippe und ein Restaurant hinzugefügt. Auf diese Weise wollten wir einen Mehrwert für das ganze Quartier schaffen. Das hat die Jury nach einer intensiven Debatte überzeugt, und wir erhielten den 1. Preis.

Eine weitere Besonderheit unseres Entwurfs ist, dass wir die Funktionsbereiche Lehre, Bibliothek, Labor und Büros nicht in einem, sondern in vier Gebäuden untergebracht haben, die miteinander verbunden sind.

Ich denke, unsere Gestaltung zeichnet vor allem aus, dass wir die Bauaufgabe zuvorderst städtebaulich aufgefasst haben: Wir wollten mit der neuen Universität ein »Quartier Krankenhaus-/Universitätsviertel« schaffen, denn in Linz fehlt es verglichen mit anderen Städten an attraktiven öffentlichen Räumen. Vormals standen auf dem Krankenhausareal mehrere Gebäude nebeneinander, ohne in einen urbanen Dialog miteinander zu treten – das hat sich nun geändert.

 

Foto: Martin Steinkellner
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


Inspiriert hat uns unsere Liebe zur Stadt, die wir als großes Gesamtkunstwerk auffassen. Für uns ist der städtebauliche Gehalt unserer Projekte extrem wichtig. Dass unsere Bauten eine positive Wirkung auf die Stadt haben, liegt uns noch mehr am Herzen als die konkrete architektonische Ausformung, was jedoch nicht heißen soll, dass wir an dieser keine Freude haben.

Angetrieben hat uns, wie eben schon angedeutet, der Wunsch, die bis anhin leblosen Außenräume des Areals aufzuwerten. Denn frei nach Michael Köhlmeier: Ein Mangel an gemeinschaftlichem Raum und ein Mangel an Schönheit machen »arm und böse«.

 

Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Im Unterschied zu anderen Projekten gab es weniger einen Kontext, den wir hätten aufgreifen können. Vielmehr bestanden Mängel, die wir mit architektonischen Mitteln beheben wollten.

 

Foto: Martin Steinkellner
Foto: Martin Steinkellner
Foto: Martin Steinkellner
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen Ihren Entwurf beeinflusst?


Sind wir doch ehrlich, ein Wettbewerbsprojekt entsteht im Konzept immer ohne Einfluss des Auftraggebers. Allerdings haben natürlich in der Entwurfsphase sowohl der Auftraggeber als auch die Nutzer sehr wohl das Projekt beeinflusst, vor allem indem sie Vorschläge unterstützt oder auch abgelehnt haben. Dieser Prozess ist bekanntlich umso schwieriger und komplexer, je außergewöhnlicher und innovativer ein Entwurf ist. Doch er lohnt sich immer.

Wir haben eine intelligente Keramikfassade entwickelt, die auf den Sonnenstand reagiert, aber auch mechanisch durch die Nutzer gesteuert werden kann. Diese Verwendung von keramischen Platten war eine konstruktive Neuheit, für die wir die Bauherrschaft erst gewinnen mussten. Auch die Stahlbetonrippendecken in der Aula und in den Hörsälen machten Überzeugungsarbeit notwendig, denn als raumprägende Elemente waren sie gestalterisch zwar sehr wichtig, zugleich aber stellten sie nicht die preisgünstigste Lösung dar. Weiter besteht das Hörsaalgestühl aus stb-Fertigteilen und nicht aus Holz, was anfangs für eine gewisse Verunsicherung sorgte, die wir aber ausräumen konnten. Auch die Spiraltreppe mit dem eingeschlossenen Baum im Foyer des Bürogebäudes kam erst nach einiger Erklärungsarbeit zustande. Diese Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen.

Umso glücklicher sind wir, dass wir schlussendlich einen Konsens finden konnten, auf den alle Beteiligten stolz sind.

 

Foto: Martin Steinkellner
Foto: Martin Steinkellner
Foto: Martin Steinkellner
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Das würde man wohl vermuten, nachdem ich eben über lange Diskussionen gesprochen habe. Doch tatsächlich war dem nicht so. Die Renderings zum Zeitpunkt des freigegebenen Vorentwurfes kann man mit dem tatsächlichen Zustand auf den Fotografien gut vergleichen.

Als Architekt wünscht man sich, 100 Prozent seiner gestalterischen Vorstellungen umzusetzen. Doch realistisch ist das nicht. Wir haben bei diesem Projekt vielleicht 95 Prozent erreicht – ziemlich gut eigentlich.

 

Foto: Martin Steinkellner
Foto: Martin Steinkellner
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Wir arbeiten seit vielen Jahren am Prinzip des hybriden Comitium, also dem Zusammenfügen verschiedener Architekturelemente und -sprachen zu einem stimmigen Gesamtprojekt. Diesen Entwurfsgedanken versuchen wir horizontal wie beim Projekt Schule auf Markt in Wien oder vertikal wie beim MED Campus Linz zu verfolgen.

Wichtig ist dabei immer die Suche nach mehr Urbanität: Die Stadt als Gesamtheit wurde in den letzten 80 Jahren weltweit total unterbewertet und vernachlässigt. Statt sie zu schätzen und an ihr zu arbeiten, schufen Architekten Einzelobjekte wie Bildhauer. Diese suchen keinen Dialog mit anderen Bauten, sondern sind narzisstisch – eben unserer Gesellschaft sehr entsprechend – und gefallen sich nur selber. Doch viele Skulpturen nebeneinander ergeben keine Stadt.

 

Foto: Martin Steinkellner
Foto: Martin Steinkellner
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Der Klimawandel ist eines der wichtigsten Themen der zeitgenössischen Architektur. Der Trend geht aktuell oft zu hochtechnisierten Lösungen, um Energie zu sparen. Doch wir halten Konstruktionen, die weniger haustechnisch aufwendig sind, für besser. Darum sind wir überzeugt, dass unsere »intelligenten« Fassaden einen wichtigen energetischen Beitrag darstellen: Ihr Haustechnikanteil von lediglich um 27 Prozent zeigt das große Potenzial passiver Maßnahmen für die Kühlung. Wir haben zum Beispiel noch nie eine Klimaanlage gebraucht.

 

Foto: Martin Steinkellner
Foto: Martin Steinkellner
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Das eine Material, das den Erfolg des Bauwerks ausmacht, gibt es nicht, da muss ich Sie enttäuschen. Vielmehr war die Mischung verschiedener Baustoffe entscheidend – Stahl, Holz, Beton und Keramik.

Wir haben dem Farb- und Materialkonzept große Aufmerksamkeit geschenkt. Dieses verändert sich zwar von Gebäude zu Gebäude, hält aber dennoch die ganze Anlage ästhetisch zusammen. Die Häuser wirken eigenständig, und gleichzeitig entwickelt sich ein reizvoller Dialog zwischen ihnen.

 

Foto: Martin Steinkellner
Grundriss Regelgeschoss
Schnitt
Bauwerk
MED Campus I, JKU Linz
 
Standort
Krankenhausstraße, 4020 Linz
 
Nutzung
Medizinischer Campus der Johannes-Kepler-Universität in Linz (Büro, Lehre, Labor, Bibliothek, Lehrmittelstelle, Café, Restaurant und Lebensmittelmarkt)
 
Auftragsart
EU-weiter offener Wettbewerb, 2015: 1. Preis
General- und Architekturplanung
 
Bauherrschaft
Kepler Universitätsklinikum GmbH, Linz
 
Architektur
LORENZATELIERS, Innsbruck und Wien
Peter Lorenz und Giulia Decorti
Franz-Xaver Baur, Jean Pierre Bolivar, Christoph Buchta, Andrea Carniti, Emilia Chocian, Blagovesta Dimitrova, Kaan Ertaylan, Gabriel Garcia, Volker Gessendorfer, Bárbara González Díaz, Siegfried Gurschler, Nikola Haussteiner, Helmut Holleis, Erwin Jank, Roman Karner, Thomas Kasseroler, Clemens Kössler, José Esteban Martín Mañes, Kathrin Mayerhofer, Can Onbasioglu, Margot Orthacker, Martin Painer, Florian Pfeifer, Magdalena Polvorinos, Konrad Rautter, Arno Reiter, Kathrin Sauerwein, Claudia Schmied, Ernst Steiner, Reinhard Tschinder, Alexander Waldbauer und René Weber
 
Fachplaner
Generalplanung und Architektur: LORENZATELIERS, Wien
 
Jahr der Fertigstellung
2021
 
Gesamtkosten
EUR 105 Mio.
 
Kunst am Bau 
Mag. Melitta Moschik, Graz: Gestaltung Fassade Laborgebäude   
Iris Andraschek und Hubert Lobnig, Wien: Wandgestaltung, Sitzmöbel Laborgebäude  
  
Fotos
Martin Steinkellner, Linz

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