Campus HessenChemie in Wiesbaden von grabowski.spork architektur

Fassade gewickelt

Thomas Geuder
4. February 2017
Der viergeschossige Neubau der HessenChemie ist ein wichtiger Baustein in der Entwicklung der Konversionsflächen um den naheliegenden Bahnhof. (Bild: Dirk Übele / grabowski.spork architektur)

Projekt: Büroneubau der HessenChemie (Wiesbaden, DE) | Architektur: grabowski.spork architektur (Wiesbaden, DE) | Bauherr: Arbeitgeberverband Chemie und verwandte Industrien für das Land Hessen e.V. (Wiesbaden, DE) | Hersteller: Evonik Performance Materials GmbH (Essen, DE), Kompetenz: Fassadenverkleidung Plexiglas Mineral

Wiesbaden ist eine Stadt mit Kopfbahnhof, insofern vergleichbar mit Städten wie München, denn hier wie dort wurden in den letzten Jahren zahlreiche Flächen rund ums Gleisbett umgewandelt, um sie für neue Nutzungen frei zu machen. «Konversionsflächen» nennt sich das. In Wiesbaden zum Beispiel ist der ehemalige Schlachthof jetzt ein Kulturzentrum und gleichzeitig Herz eines ganzen Kulturparks. In unmittelbarer Nähe dazu, ebenfalls zwischen der den Bahnanlagen des Hauptbahnhofs und der Mainzer Straße, befindet sich nun auch der Neubau des «Arbeitgeberverbandes Chemie und verwandte Industrien für das Land Hessen e. V.», kurz: HessenChemie. Entworfen und errichtet wurde er von grabowski.spork architektur aus Wiesbaden. Ihre Entwurfsidee gründet genau genommen erst in zweiter Reihe auf eine Form. Wichtig im Sinne einer gezielten Corporate Architecture war Architekten wie Bauherren wichtig, im Bau möglichst viele Mitgliedsunternehmen in die Ausführung einzubinden. Der Verband HessenChemie repräsentiert mittelständische Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie, etwa Caparol (Farben, Lacke, Dämmung), Omniplast (ressoucensparendes Abwasser-Grundleitungssystem), Senator (Geschirr aus ökologisch unbedenklichen Rohstoffen), Hewi (Beschläge, sanitäre Anlagen), Cobiax (Kunststoff-Hohlkörper für die Betondecke), Opertis (elektronisch kodierte Schließanlage) oder Brita (Trinkwasserversorgung), um nur einige nennen. Ein besonderes Augenmerk allerdings hat das Planungsteam auf die Fassade geworfen, der – nicht zuletzt wegen des Standorts direkt neben der Hauptstrecke zum Bahnhof – eine große Bedeutung zukommt. Prägend sind die weißen Flächen, die sich wie Bänder um den Baukörper zu wickeln scheinen. Dazwischen setzen sich dunkle Fensterbänder ab, wodurch die horizontale Gliederung der Fassade noch verstärkt wird. Das alles ruht auf einem grauen Sockelgeschoss, das an einer Ecke zurückspringend den Haupteingang zum Gebäude markiert. Einen Rücksprung, diesmal auf ganzer Breite, gibt es auch im Dachgeschoss, wo die Kubatur jedoch durch eine Art Krone wieder vervollständigt wird.

Die weiß durchgefärbten Fassadenplatten aus Plexiglas Mineral wurden bei diesem Projekt zum ersten Mal mit verdeckter Aufhängung umgesetzt. (Bild: Dirk Übele / HessenChemie)

«Experimentierfreudig sind wir als Architekten gerne, sofern man uns lässt», sagt Christoph Grabowski und bezieht sich damit nicht zuletzt auf die gelungene, dennoch recht komplizierte Fassade aus Plexiglas (Evonik). Denn mineralgefülltes Acrylglas wurde derart bis dahin noch nicht an Fassaden verbaut. Eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung war also schlicht nicht vorhanden. So musste das Fassadensystem als Zulassung im Einzelfall nach Hessischer Bauordnung bewilligt werden. Ein Zeitaufwand, der sich am Ende gelohnt hat: Sämtliche Platten sind mittels Hinterschnittankern auf einer klassischen Aluminium-Unterkonstruktion unsichtbar befestigt. Der Zulassung im Einzelfall wurde deswegen eine punktgehaltene Glasfassade zugrunde gelegt. Die thermische Verformbarkeit des Materials machte es außerdem möglich, für die Ecken des Gebäudes runde Elemente zu formen. Die Prüfung etwa von Wasseraufnahme, Längenausdehnung und der Belastungstest ergaben schließlich, dass die Fassadenelemente von 1,35 x 0,80 m die sechsfache Sicherheit bieten. So ist das neue Bürogebäude der HessenChemie ein weithin sichtbares Symbol für die chemische und kunststoffverarbeitende Industrie – das am Ende trotz der aufwändigen Fassade sogar im zuvor vereinbarten Kostenrahmen geblieben ist. «Wenn ein Bauherr das Gebäude selbst nutzt, ist die Zusammenarbeit wesentlich intensiver als mit einem herkömmlichen Investor. Die HessenChemie war mit Herzblut dabei und hat genauestens darüber gewacht, dass alles in ihrem Sinne und im Sinne ihrer Mitgliedsunternehmen realisiert wird. Da waren meine Kollegen und ich stark gefordert – aber es war auch hoch spannend. Wir haben viel dabei gelernt», kommentiert denn auch Christoph Grabowski nicht ohne Stolz. Und der Bauherr kann sich über eine gelungene gebaute Visitenkarte in bestes sichtbarer Lage freuen.

Die Fassade wirkt durch die runden Ecken wie um den Baukörper gewickelt und entwickelt durch den Wechsel von weißer Fläche zu dunklem Fensterband ein rythmisierendes Spiel. (Bild: Dirk Übele / grabowski.spork architektur)
Die Plexiglas-Elemente sind nahezu wartungsfrei und müssen aufgrund ihrer porengeschlossenen Oberfläche nur alle 10 bis 15 Jahre gereinigt werden. (Bild: Dirk Übele / grabowski.spork architektur)
Fassadenansicht, Detail Fassadenschnitt (Quelle: grabowski.spork architektur)
Lageplan (Quelle: grabowski.spork architektur)
Grundriss 3. Obergeschoss / Dacheschoss (Quelle: grabowski.spork architektur)
Grundriss 1. Obergeschoss (Quelle: grabowski.spork architektur)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: grabowski.spork architektur)
Nahe des Empfangsbereichs im Erdgeschoss befindet sich ein großer Veranstaltungssaal, der sich in drei kleine aufteilen lässt. (Bild: Dirk Übele / grabowski.spork architektur)
In den Bürogeschossen herrscht eine offene Atmosphäre, nicht zuletzt durch die um die runde Ecke laufenden Fensterbänder. (Bild: Dirk Übele / grabowski.spork architektur)
Bei Dämmerung wird die horizontale Gliederung der Fassade durch die Beleuchtung noch hervorgehoben. (Bild: Dirk Übele / grabowski.spork architektur)

Projekt
Büroneubau der HessenChemie
Wiesbaden, DE

Architektur
grabowski.spork architektur
Wiesbaden, DE

Team
Benjamin Leppelt (PL), Till Naumann, Alex Willmes, Wilma Höhne (BL)

Bauherr
Arbeitgeberverband Chemie und verwandte Industrien für das Land Hessen e.V.
Wiesbaden, DE

Hersteller
Evonik Performance Materials GmbH
Essen, DE

Kompetenz
Fassadenverkleidung Plexiglas Mineral

Fassadenbauer
Glas Wagener

Energiebilanz
Green Office Building
Nullenergiehaus

Grundstücksfläche
2.800 m²

BGF
4.648 m²

Primärenergiebedarf
7,6 kWh/m²/Jahr

Baukosten
7,39 Mio. € netto (KG 300 + 400)

Fertigstellung
2014

Fotografie
Dirk Übele


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