Zwischen Park und Promenade – das Quartiershaus als Januskopf

PPAG architects
1. julio 2022
Zum Helmut-Zilk-Park hin öffnet sich das neue Quartiershaus mit abgetreppten Geschossen und zum Grünraum orientierten Wohnungen. (Foto: Paul Sebesta)

 

Frau Popelka, Herr Poduschka, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?

Anna Popelka: Das OPEN UP! steht im neuen Wiener Sonnwendviertel, das mit einem hohen architektonischen und sozialen Anspruch entwickelt wurde. Darum war im Wettbewerbsprogramm zum Beispiel festgelegt, dass die Erdgeschosszonen eine gemischte Nutzung erhalten sollten. 

Georg Poduschka: Es gab in der Wettbewerbsauslobung einen sehr schönen, inspirierenden Text von maxRIEDER, eine sehr atmosphärisch ausformulierte Vision für das Quartier. Aus dieser entwickelten wir schlussendlich die Erdgeschossnutzungen. Wir haben uns gefragt, was es braucht, um seine Vision Realität werden zu lassen. maxRieder hat geschrieben: »… dort, wo man am Fußweg zur Arbeit kurz frühstückt, einen Mittagstisch vorfindet, nachmittags die Kinder gefahrlos im öffentlichen Gassenplatz-Raum spielen lässt, Senioren in der Vor- und Nachmittagssonne e-biken, wo man den After-Work-Aperitif nach den Besorgungen beim Handwerker und Laden zum nachbarlichen Austausch einnimmt, kurz beim partizipativen Gemüsegarten Petersilie und Salat pflegt und erntet, abends ohne Angst für eine Eiscreme flaniert, im Park oder auf der inneren Promenade namens ›Am Ried-Riss‹ joggt, skatet und liebt, dort ist Dein Grätzl …«

AP: Sonst ist die Entwicklung eines Quartiers meist das Ergebnis eines Widmungsverfahrens, bei dem weiße Klötzchen auf grünem Grund hin- und hergeschoben werden. Erst danach geht es um etwas Konkretes. Doch bei diesem Projekt war der Startpunkt eine Vorstellung vom zukünftigen Leben im Quartier. Diese Vorgehensweise kommt unserer eigenen Art zu Arbeiten sehr nahe. So wie beim Bildungscampus Sonnwendviertel, den wir auf der anderen Seite des Parks bauen durften, das pädagogische Konzept zugrunde gelegt wurde, wurde bei diesem Wettbewerb von einer lebendigen Beschreibung ausgegangen. In beiden Fällen hat dies zu einem überzeugenden Ergebnis geführt.

An der Bloch-Bauer-Promenade wirkt das OPEN UP! – in Kontrast zur »montanen« Parkseite – mondän. Das Haus besitzt also in Reaktion auf den Kontext zwei unterschiedliche Gesichter. (Foto: Paul Sebesta)
Mit dem OPEN UP! wollten PPAG architects ihr Konzept eines neuen Wiener Zinshauses realisieren: ein flexibles, hybrides und nicht spezialisiertes Gebäude. (Foto: Paul Sebesta)

GP: Konkret lag für die Erdgeschossnutzung ein Plan mit Co-Working-Space und Gastronomie zugrunde. Darauf haben wir unseren Entwurf für OPEN UP! ausgerichtet. Es gibt also keine spektakuläre Sondernutzung, sondern nur Dinge, die wichtig für das Alltagsleben im Quartier sind.

AP: Besonders war für uns auch die Strukturwidmung. Dabei ist ein räumlicher Rahmen gesetzt und eine maximale Ausnutzung über die Brutto-Grundfläche (BGF) festgeschrieben. Das eröffnet einen gewissen Spielraum. Die Qualität steht viel mehr im Vordergrund als sonst, man ist nicht gezwungen, möglichst viele Geschosse ins Volumen hineinzupressen. Man hätte beim OPEN UP! ein Stock mehr bauen können, hätte man sich mit einer Raumhöhe von 2,5 Metern begnügt. Der Flächendeckel in der Widmung wirkte also qualitätssichernd.
Überhaupt war der Masterplan für das Quartier intelligent. Er führte zu einer gewissen Kleinteiligkeit und zu einer durchdachten, nicht einfach zufällig entstandenen Mischnutzung. Es handelt sich nicht um ein reines Wohnquartier, und die Atmosphäre ist urban. Diese 15-Minuten-Stadt ist ein echter Fortschritt gegenüber den Quartiersentwicklungen der vergangenen Jahre.

Foyer mit Eingangssituation an der Bloch-Bauer-Promenade (Foto: Paul Sebesta)
Vom Foyer aus führt eine Rampe zum Fahrradsalon mit Werkstatt im Untergeschoss. (Foto: Paul Sebesta)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


GP: Wir verwenden gerne den Begriff Januskopf, wenn wir das Gebäude beschreiben. Denn es besitzt zwei völlig unterschiedliche Gesichter zur Straße beziehungsweise zum Park. Dies ergibt sich aus der Widmung, von der Anna gerade gesprochen hat: Das Grundstück gibt mit seiner relativ engen Form die Baukörper vor. Dazu ist das Flair auf der Ostseite mit der Promenade sehr öffentlich, während es auf der Westseite, wo sich der Zugang zum angrenzenden Park befindet, beschaulicher zu- und hergeht. Das sind zwei recht unterschiedliche Situationen, auf die es architektonisch zu reagieren galt. Wir haben uns von Anfang an darum bemüht, möglichst viele Wohnungen vom nahen Park profitieren zu lassen. Die »urbaneren« Einheiten schauen derweil auf die Straße, die, wie schon angedeutet, eine Fußgängerpromenade ist. 

AP: Mit OPEN UP! wollten wir unser Konzept eines neuen Wiener Zinshauses realisieren: ein flexibles, hybrides und nicht spezialisiertes Gebäude. Durch den Skelettbau können die Räumlichkeiten fortlaufend an die Bedürfnisse und Ansprüche der Bewohner*innen und Nutzer*innen angepasst werden. Auch dies ist ein Aspekt der Nachhaltigkeit.
Selbst die vergleichsweise kleinen Wohnungen mit wenigen Quadratmetern sollten außerdem viel bieten. Darum haben wir gemeinschaftliche Angebote und Rückzugsräume vorgesehen: eine gemeinsame Dachterrasse, eine Gartenküche, einen Fahrradsalon mit Werkstatt für 120 Räder, für den extra eine Rampe ins Kellergeschoss führt, ein Waschsalon und ein großzügiges Foyer mit Lieferboxen.

GP: Und im Verhältnis zur Wohnungsfläche gibt es viel Freiraum. Wir sprechen gerne von »Außenzimmern«. Die parkseitigen Wohnungen – dank des Grundrisses die deutliche Mehrheit – verfügen alle über mindestens ein Außenzimmer (Balkon) mit Deckenbeleuchtung und Vorrichtungen für das Montieren von Außenvorhängen. Dieses erweitert jeweils die Wohnungen um einen überdachten privaten Freibereich mit Blick in den Park. Selbst die kleinsten Wohnungen verfügen so über einen verhältnismäßig großen privaten Freiraum. Und meistens sind die Wohnungen L-förmig um diesen angelegt.

Parkseitiger Eingang mit Blick hinab zum Fahrradsalon (Foto: Paul Sebesta)
Oberste Terrasse mit unverbaubare Aussicht (Foto: Paul Sebesta)
Jede parkseitige Wohnung verfügt über mindestens ein »Außenzimmer«, das meist über zwei verschiedene Räume erreicht werden kann. (Foto: Paul Sebesta)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


GP: »Zwischen Park und Promenade« ist tatsächlich die Essenz des Projekts. Daraus resultieren der urbane Sockel aus Geschäftsflächen, der eine Raumhöhe von 3,6 Metern aufweist, und die private Atmosphäre in den Geschossen, wobei das Regelgeschoss 2,8 Meter Raumhöhe bietet.
Außerdem befindet sich das neue Viertel in einer relativ ungentrifizierten Nachbarschaft, hier soll es also zu einer gegenseitigen Ergänzung und Befruchtung kommen. Auch darum ging es uns bei diesem Haus: Es sind gleichsam zwei Häuser in einem. Es gibt eine Schichtung, sodass der Grad an Öffentlichkeit nach oben hin abnimmt. Eine Diversität im Haus bildet sich dadurch automatisch und ganz organisch.

Foto: Paul Sebesta
Ein breites, helles Stiegenhaus mit niedrigem Steigungsverhältnis lädt zum Verweilen ein und fördert das Nachbarschaftsgefühl. (Foto: Paul Sebesta)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


GP: Ja, die Konstruktion hat sich verändert. Ursprünglich war eine durchgehende, besonders flexible Leichtbauweise geplant. Geworden ist es auf Wunsch des Auftraggebers aber schlussendlich ein konventioneller Bau aus Stahlbeton in Schottenbauweise.

Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


AP: Wir sehen jedes Projekt immer in einer totalen Konsistenz und Kontinuität, wir überlegen uns nicht, wie es sich in unser bisheriges Œuvre eingliedert. Beim OPEN UP! haben wir eine Typologie für den Ort und die spezielle Aufgabe entwickelt.
Der typische PPAG-Bau entsteht aus der Notwendigkeit; nicht weil wir es wollen, sondern weil es eine bestimmte Architektur »braucht«.

Blick vom Park auf das Quartiershaus (Foto: Paul Sebesta)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


AP: Man ist natürlich tagtäglich beeinflusst von allem Möglichen. Wir alle beeinflussen uns gegenseitig, und das ist auch gut so. Aber wir stehen nicht morgens auf und meinen, wir müssten diese oder jene ästhetische Anregung in unseren nächsten Entwurf einflechten. So arbeiten wir nicht. Es ist vielmehr immer aufs Neue eine Überraschung, welche Ästhetik sich entwickelt. Unsere Formen entstehen stets durch die Arbeit am Projekt, sie sind nie aufgepfropft.

Foto: Paul Sebesta
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


GP: Für den Erfolg sind vielleicht eher bestimmte Elemente maßgebend, die die Anmutung ausmachen. Zum Beispiel die Stahlelemente der Geländer: Die Streben wurden vom Schlosser leicht schiefer angebracht. Diese feine Variation fällt auf. Als Material spielt sicher Glas eine große Rolle, da die Außenzimmer alle über raumhohe Fenster verfügen.

Lageplan
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 1. Obergeschoss
Grundriss 2. Obergeschoss
Grundriss 3. Obergeschoss
Grundriss 4. Obergeschoss
Grundriss 5. Obergeschoss
Schnitt A
Schnitt B
Schnitt C
Bauwerk
Quartiershaus OPEN UP!
 
Standort
1100 Wien
 
Nutzung
Mischnutzung
 
Auftragsart
Wettbewerb
 
Bauherrschaft
6b47 GmbH
 
Architektur
PPAG architects, Wien und Berlin
 
Jahr der Fertigstellung
2020
  
Auszeichnung
gebaut 2020 – Preis der Stadt Wien
 
Fotos
Paul Sebesta

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