Plattform-Ökonomie neu denken

Susanna Koeberle
27. mayo 2021
»We Like«: Ein bekannter Slogan empfängt die Besucher*innen des österreichischen Pavillons. (Foto © Ugo Carmeni)

Die Biennale sei mehr als eine Leistungsschau verschiedener Nationen, finden Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer. Die beiden Kuratoren des österreichischen Pavillons stellten sich die grundsätzliche Frage zur Aufgabe und Botschaft einer solchen Veranstaltung. Dafür richten sie ihren Blick nicht auf Bauten an sich, sondern auf ein Phänomen, das nur auf den zweiten Blick mit Architektur zusammenhängt. Es geht ganz im Sinne von Hashim Sarkis’ Biennale-Motto um unser Zusammenleben. Und dieses ist immer stärker durch digitale Plattformen geprägt, das hat gerade die aktuelle Pandemie ganz deutlich gezeigt. Der Ansatz von Mörtenböck und Mooshammer ist ein architekturtheoretischer, die zwei Stadt- und Kulturforscher (die beide auch Research Fellows am Goldsmith College der University of London sind und Gründungsdirektoren des Centre for Global Architecture) folgen damit der Linie des Kurators der 17. Architekturbiennale. 

Das Konzept des Pavillons zeichnet sich durch eine doppelte Geste aus: Es hinterfragt zum einen das invasive System von digitalen Plattformen und möchte zum anderen selber eine Plattform schaffen. Oder eher ein Forum, das verschiebt den Akzent etwas auf das Dialogische und die aktive Rolle der Nutzer*innen, die Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer einfordern. Gemeinsam mit verschiedenen Expert*innen reklamieren die Kuratoren das Recht auf Mitsprache und möchten eine Alternative zur Übermacht des Plattform-Urbanismus bieten. Obwohl digitale Plattformen nämlich häufig aus Eigeninitiative kleiner Gruppierungen entstanden sind, werden sie auf der anderen Seite immer mehr von globalen Playern genutzt, um Daten zu sammeln und zu verwerten. Das sieht man gut an sozialen Netzwerken wie Instagram, das sich von einer alternativen Plattform zu einer Verwertungsmaschinerie von Informationswaren entwickelt hat. Die Kuratoren legen die Systemhaftigkeit solcher Plattformen frei und fordern uns zum Mitdenken auf. Denn ohne Nutzer*innen keine Netzwerke. 

Szenografisch setzt der österreichische Beitrag auf starke visuelle Eindrücke: Raumskulpturen mit Bildschirmen, auf denen Videoanimationen zu sehen sind. (Foto: Flavia Rossi)

Doch was haben digitale Plattformen wie Airbnb, Uber oder Amazon mit Architektur zu tun? Sehr viel. Denn »die Verlagerung von menschlicher Interaktion auf digitale Plattformen läuft der gebauten Umwelt den Rang als dominante Kraft in der Strukturierung von Gesellschaften ab«, wie es im Statement der Kuratoren heißt. Immer stärker dominiert auch in der Architektur eine Ästhetik, die sich an der »Like-Kultur« orientiert. Gesichtslose oder vermeintlich attraktive Bauten animieren zum Konsum, indem sie nette Begegnungszonen schaffen mit etwas Grünzeug drumherum. Wollen wir öffentliche Räume dieser Konsumlogik preisgeben? Kann das Behübschen solcher Zonen oder das Designen von Pop-up-Shops die Aufgabe von Architektur sein? Nein! Wir bewegen uns alle täglich in solchen Landschaften, sei es in realen Räumen wie auch in digitalen; doch werden digitale Räume immer mehr zu Hauptbühnen. Wollen wir uns mit der digitalen Form der Interaktion zufrieden geben? Oder ginge es nicht vielmehr darum, sich diese hybriden Räume neu anzueignen? Wie das gehen kann, zeigt etwa der deutsche Pavillon.

Das Thema Zugang ist auch in der Architektur wichtig. (Foto: Flavia Rossi)

Der österreichische Pavillon geht einen anderen Weg, der noch stärker auf Mehrstimmigkeit und Partizipation setzt. Und weil er die Sicht der Nutzer*innen einnimmt, regt er dezidierter zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema an. Hier zeigt sich auch, dass ein rein digitaler Auftritt schnell verpufft. Durch eine klare Strukturierung in sieben Kapitel und einzelne Slogans übersetzen die Kuratoren ihre Ideen in eine physische Ausstellung. Auch sie haben mit einem großen Team zusammengearbeitet, die Zeiten der Einzelschauen sind definitiv vorbei. 50 nationale und internationale Expert*innen aus verschiedenen Generationen und unterschiedlichen Disziplinen ermöglichen einen vielstimmigen Kommunikationsraum. Die sogenannten Bloggers in Residence (darunter auch Nicht-Architekt*innen) wurden gebeten, sich mit Textbeiträgen, Bildern oder Videos an einem kollektiven Denk- und Diskussionsprozess zu beteiligen. Auch wir als Publikum sind dazu aufgerufen, uns über die sozialen Medien zu melden. Zum Beispiel mit Bildern von Architektur, die wir mögen und von der wir mehr sehen wollen. Die Ausstellung arbeitet mit unterschiedlichen Ebenen und Medien, das schafft auch unterschiedliche Zugänge. Womit wir wieder mitten im Thema sind, denn Architektur regelt auch Zugänge. Visuelle Eindrücke werden online mit Textbeiträgen ergänzt. Es gibt sogar eine Dependance im MAK Forum in Wien! Die Formel des österreichischen Beitrags lautet: Koexistenz unterschiedlicher Formate.

Diese sieben Themenbereiche werden beleuchtet: Zugang: Access Is The New Capital, Service-Stadt: City On Demand?, Maßstab: The Collapse Of Scale, Emotionen: The Platform Is My Boyfriend, Zirkulation: Monuments Of Circulation – »I« Is Everywhere, Daten: Data Is A Relation Not A Property und Öffentlichkeit: The Future Is Public. Wobei die siebte Facette für den Architekturdiskurs vielleicht die zentralste ist. Manche Architekt*innen werden nicht gerne daran erinnert, dass auch das Entwerfen von öffentlichen Räumen zu ihren Aufgaben gehört, auch wenn es hier eher um die Rolle des Moderierens geht. Schon von weitem erkennen Besucher*innen den Slogan »We Like«, gebildet durch gestapelte Hocker in zwei Farben. Ich weiß nicht, wie brainwashed ich mittlerweile bin, aber scheinbar funktioniert eine solche Botschaft auf einer emotionalen Ebene gut. Wir sammeln Likes wie Liebesbekundungen anderer Art. Im Innern werden wir empfangen durch zwei bunte Slogans, die von der Decke hängen: »Access Is The New Capital« und »The Platform Is My Boyfriend«. Und prompt posten wir das fleißig auf Instagram (ich habe mich enthalten). Es ist wie verhext, wir scheinen nicht aus diesen Kreisläufen aussteigen zu können. Wobei es hier zu betonen gilt, dass die Kuratoren nicht die Plattform als Instrument an sich verteufeln. Sie stellen nur die Frage in den Raum, wie stark wir uns von ihnen lenken lassen und welche Alternativen wir schaffen wollen. Das tun sie in erster Linie, indem sie eine genaue Analyse liefern. Das ist ein erster Schritt. Den Rest müssen wir selber machen.

Die beiden Seitenpavillons bieten einen Blick hinter die Kulissen des Plattform-Urbanismus. (Foto © AFP | Andrea Ferro Photography)

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