Ein Plädoyer für das Weiterbauen: DAM-Preis für die Erweiterung des Starnberger Landratsamts

Manuel Pestalozzi
9. febrero 2023
Foto: Aldo Amoretti

Seit 2007 zeichnet das Deutsche Architekturmuseum (DAM) jedes Jahr herausragende Bauten aus. Bei der neuesten Ausgabe des Architekturpreises, der im ganzen deutschen Sprachraum Beachtung findet, hat die Jury unter der Leitung von Martin Haas, einem ausgewiesenen Experten für umweltfreundliches Bauen und Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), zunächst eine Longlist zusammengestellt. 23 Projekte schafften es im nächsten Schritt auf die Shortlist. Sie alle ließen sich als Beiträge zum Diskurs um eine zukunftsfähige Baukultur auffassen, der aktuell intensiv geführt wird. Weitere gemeinsame Themen waren die Bedeutung des öffentlichen Raumes und das Erproben flexibler Wohnformen. Vor dem Hintergrund der Mobilitätswende gewannen außerdem Verkehrsinfrastrukturprojekte merklich an Bedeutung, die über ihre Funktion hinaus auch Aufenthaltsqualität bieten. Die fünf Bauten der Endauswahl wurden von der Jury Anfang September vergangenen Jahres vor Ort begutachtet. Das Rennen machte schließlich die Erweiterung des Landratsamts der bayerischen Stadt Starnberg aus der Feder des Münchner Büros Auer Weber Architekten.

Die bestehende Anlage aus den 1980er-Jahren wurde gegen Westen hin erweitert. (Foto: Aldo Amoretti)
Weiterbauen am eigenen Werk

Die Geschichte des Siegerprojektes ist auch die einer Rückkehr: Die Architekten Fritz Auer und Carlo Weber nahmen 1982 am Wettbewerb für das Landratsamt Starnberg teil. Fritz Auer erinnert sich, dass ihn damals eine Reise nach Japan zur städtebaulichen Setzung inspirierte. In Japan hatte der Architekt nämlich die historische Katsura-Villa in Kyoto besucht, den kaiserlichen Nebenpalast aus dem 17. Jahrhundert. Das Ensemble beeindruckte ihn: Mit der horizontalen Verteilung der Baumassen und der Staffelung der Baukörper hatten die japanischen Baumeister das sehr große Volumen der Bauten geschickt verborgen. Auch die Zweigeschossigkeit mit umlaufenden Veranden im Obergeschoss, die Dachüberhänge und die sanft geneigten Dächer begeisterten Auer. Sie schienen ihm auch geeignete Mittel für das Grundstück in Starnberg zu sein. 

Die Anlage aus zweigeschossigen Pavillons mit umlaufenden Fluchtbalkonen und einem Wasserbecken sowie fingerartigen Höfen wurde in den Jahren zwischen 1985 und 1987 realisiert. Der Entwurf von Fritz Auer und Carlo Weber erlaubte eine enge Verzahnung des Landratsamts mit der Nachbarschaft. 1989 wurde die Anlage mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet und für den »architektonischen Ausdruck demokratischen Bauens« gewürdigt.

Als Jahrzehnte später eine Erweiterung des Ensembles nötig geworden war, wurde der Auftrag im Sinne des ursprünglichen Konzepts wieder an Auer Weber vergeben. Die Vergrößerung führt das modulare Konzept im Westen weiter. Dabei wurde additiv die im Bestand vorgezeichnete Figur aus Flügelbauten um eine Atriumhalle verdoppelt. Gestalterisch gleichen sich der Bestand und die Erweiterungen weitgehend. Der Übergang zwischen Alt und Neu ist fließend, die Fassaden und Einbauten sind neu, liegen aber teilweise noch unter dem alten Dach. Erkenntnisse aus der Betriebszeit wurden bei der Erweiterung berücksichtigt. So ist das Holz der neuen Tragstützen nicht mehr wie einst naturbelassen, sondern in einem Grauton lasiert, der der Patina der alten Stützen entspricht. 

Dass traditionelle japanische Architektur eine wichtige Inspirationsquelle für die Gestaltung des Landratsamts war, lässt sich noch immer unschwer erkennen. (Foto: Aldo Amoretti)
Kontinuität und Weiterentwicklung

Vergleiche man den neuen mit dem alten Teil, sei die Interpretation und Weiterentwicklung der damals lässig-verspielten Details spannend anzusehen, urteilte die DAM-Preis-Jury: Es gebe keine Spiegelungen unter den Decken mehr, keine ulkigen Roste im Geländer an den Ecken, keine rhetorischen Glasdurchbrüche und keine mintgrünen Farbakzente an den Geländern. Stattdessen herrsche eine schnörkellosere und klarere Architektursprache in den Details, die die Feinheit der bestehenden Anlage aufnehme, aber professioneller und damit weniger warmherzig erscheine. Die Gebäudetechnik entspricht dem aktuellen Standard. Der Neubau ist ein CO2-neutrales Gebäude (gemäß KfW-Effizienzhaus-Stufe).

Die feingliedrige Architektur des Bestands wurde bei der Erweiterung aufgegriffen und aktualisiert. (Foto: Aldo Amoretti) 

Die Jury freute sich in besonderem Maße darüber, dass bei dem bayerischen Projekt Bestandsbauten erhalten und erweitert wurden. Das sei nicht selbstverständlich – im Gegenteil: In Deutschland würden besonders Bauten aus den 1970er- und 1980er-Jahren skeptisch betrachtet, was ihre Zukunftsfähigkeit angeht. »Es ist so wohltuend, endlich ein gelungenes Bauwerk zu finden, das von seinen Nutzern geliebt und von seinen Architekten nach über 30 Jahren ›einfach‹ weitergebaut wird«, meinte DAM-Direktor und Jurymitglied Peter Cachola Schmal.

Eine Ausstellung zum aktuellen DAM-Preis ist im DAM Ostend (Henschelstraße 18, 60314 Frankfurt am Main) noch bis zum 1. Mai dieses Jahres zu sehen.

Otros artículos de esta categoría