»Boden ist kein Handelsgut«

Elias Baumgarten
28. juin 2019
Foto: Elias Baumgarten

In den großen Städten Österreichs, der Schweiz und Deutschlands ist Wohnraum ein knappes Gut. Die Mieten steigen rasant. Mancherorten kann sich mittlerweile nicht einmal mehr die Mittelschicht leisten, in der Stadt zu wohnen. Das größte Problem bei der Schaffung von leistbarem Wohnraum ist die explosionsartige Steigerung der Bodenpreise. In Berlin etwa stiegen sie von 2012 bis 2017 um 345 Prozent. Diese Lage lockt immer neue Spekulanten aus aller Welt, denn hohe Renditen winken, wie sie sonst im aktuellen Niedrigzinsumfeld schwerlich zu erreichen sind. Und das treibt die Preise weiter nach oben. Der Druck zu handeln wird immer größer. Doch wie kann Abhilfe geschaffen werden? Wie kann der Preisanstieg gedämpft werden? Wie kann Grund und Boden dauerhaft der Spekulation entzogen werden? Was sind probate Mittel? Darum tobt längst eine schwere Auseinandersetzung. Mitunter wird der Ruf nach extremen Maßnahmen laut: Eine Berliner Volksinitiative fordert die Enteignung von Großvermietern. Und auch Robert Habeck, seit 2018 Bundesvorsitzender der Grünen in Deutschland, sympathisierte unlängst öffentlich mit Enteignungen.

Mildere Töne schlagen Brigitta Gerber und Ulrich Kriese an. Sie haben an vorderster Front für die erfolgreiche Basler Bodeninitiative gekämpft. Deren Ziel war es, den Ausverkauf städtischer Grundstück zu stoppen. Im Frühjahr 2019 haben sie ein über 400 Seiten starkes Buch zum Thema Bodenpolitik herausgegeben. Es heißt »Boden behalten – Stadt gestalten«. Drei Dutzend Autor*innen haben dafür in die Tasten gegriffen, die meisten von ihnen sind beruflich oder ehrenamtlich bodenpolitisch aktiv. Die Beiträge sind recht kurz, und das Buch muss nicht von vorn nach hinten studiert werden; es eignet sich gut zum selektiven Lesen. Die Publikation ist in mehrere Abschnitte untergliedert. Sie setzen sich mit den bodenpolitischen Herausforderungen, dem gemeinwohlorientierten Umgang mit Liegenschaften, der Geschichte des Bodeneigentums und -rechts, dem Baurecht (»Erbbaurecht« in Deutschland) und konkreten politischen Initiativen auseinander. Am Ende findet sich eine prägnant formulierte Auflistung von Forderungen. Durch den Einsatz von farbig hinterlegten Seiten gelingt eine zusätzliche Gliederung und Akzentuierung, was die Lektüre noch angenehmer macht. Viele interessante wie alarmierende Zahlen runden die Argumentation ab und verleihen den vorgebrachten Forderungen Nachdruck. Die Beiträge sind so zusammengestellt, dass sich das Buch auf die D-A-CH-Länder bezieht, wobei ein Schwerpunkt auf der Schweiz liegt.

Vorab: Wer sich ein Sachbuch mit wissenschaftlichem Anspruch erwartet, wird die teils heftig rhetorisch aufgeladene Sprache als unangenehm bis anstrengend empfinden. Vielfach tönt die Publikation wie eine Streitschrift. Einige Autor*innen sind merklich bestrebt, ihre Zugehörigkeit zur politischen Linken schon durch ihren Schreibstil zum Ausdruck zu bringen. Ob das die richtige Strategie ist, Leser*innen außerhalb des linken Spektrums abzuholen und zu gewinnen, sei dahingestellt. 

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»Die Politik behandelt den Boden wie Joghurt.«

Doch welche Standpunkte und Maßnahmen lernt man bei der Lektüre kennen? Einer der lesenswertesten Beiträge ist das Interview, das Gabriel Brönnimann mit der Schweizer Nationalrätin Jacqueline Badran (SP) geführt hat. Es ist unterhaltsam wie kontrovers. Zur aktuellen Lage in der Eidgenossenschaft sagt die Sozialdemokratin, die einstige Mietpreiskontrolle sei seit Ende der 1990er-Jahre verloren gegangen. Boden werde nunmehr wie ein Produkt behandelt, wie Joghurt. Dabei sei er ein leistungsfreies und begrenztes Gut, das wie Luft und Wasser dem »Zwangskonsum« unterworfen sei, und es könne nicht angehen, dass mit einem solchen Gewinne erzielt würden. Badran fordert im Kern, möglichst viel Boden dem Volkseigentum (wieder) zuzuführen und im Baurecht an Genossenschaften zu geben. 

Als Brönnimann kritisch anmerkt, dass finanziell schlechter aufgestellte Menschen oft keinen Chance auf eine Genossenschaftswohnung hätten, entgegnet sie, Genossenschaften müssten durchmischt sein und »nicht nur für die mit kleinem Portemonnaie.« Die Forderung nach mehr staatlichen Subventionen für vergünstigte Mieten, wie sie in der Schweiz etwa von der Alternativen Liste (AL) vorgebracht wird, lehnt sie ab. Sie befürwortet allenfalls einen Anteil von fünf bis zehn Prozent; mehr sei »nicht gut«. Denn mit zu hohen Subventionsanteilen programmiere man einen hohen Ausländeranteil in einer Anlage und das Prekariat; Aussagen, die man sich auf der Zunge zergehen lassen darf.

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Ein zu wenig beachtetes Vorbild

Eine interessante Initiative aus der Schweiz stellt Kornel Ringli in seinem Aufsatz vor: die Zürcher Stiftung PWG. Sie setzt sich für den Erhalt preisgünstigen Wohnraums in der Stadt ein. Und das funktioniert so: Seit einem positiven Volksentscheid im Jahr 1990 erhält die Stiftung Gelder von der öffentlichen Hand. In den Jahren nach 2010 waren es zum Beispiel drei bis fünf Millionen Franken pro Jahr von der Stadt Zürich. Die Stiftung kauft Immobilien zum Marktpreis auf und vermietet sie kostendeckend – nicht zum maximal möglichen Preis. Mieter*innen werden so nicht durch Preissteigerung verdrängt. Über 150 Objekte mit an die 2'000 Wohnungen hat die PWG mittlerweile erworben. Vor allem zur Jahrtausendwende setzte sie neben dem Erwerb von Bestandsbauten verstärkt auch auf Umnutzungen. Beispielhaft zu nennen sind eine Zigarettenfabrik in Wollishofen (2000) und Farbenfabrik in Albisrieden (2003). Aktuell befinden sich besonders viele Neubauprojekte im Bau, da alte Häuser zwischenzeitlich das Ende ihrer Lebensspanne erreicht haben. Oft gelingt es der PWG dabei, die Ausnutzung zu erhöhen und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. War die Stiftung anfangs politisch sehr umstritten, erfreut sie sich heute großer Zustimmung quer durch alle Lager. Im Stiftungsrat sitzen recht gleichmäßig Mitglieder aller politischer Couleur, die den größten Parteien der Schweiz von SP bis SVP angehören.

Diesem Erfolg zum Trotz hat die Stiftung PWG bisher noch wenig bis keine Nachahmung gefunden. Dabei lohnte sich dies wohl in allen D-A-CH-Ländern.

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Empfehlungen

Springen wir zum Fazit der Herausgeber. Im ganzen D-A-CH-Raum ist Boden in den letzten Dekaden von der öffentlichen Hand leichtfertig und zu zügig an Private veräußert worden. Oft erlag die Politik der Versuchung, schnell frisches Geld in die Kassen zu bekommen. Die Herausgeber und viele Autor*innen fordern, möglichst viele Grundstücke wieder dem Staatseigentum zuzuführen. 

Gemeinden, Länder und Städte sollen Boden künftig nur noch im (Erb-)Baurecht an Dritte abgeben. Diese können die Grundstücke dann für einen festgelegten Zeitraum bebauen, bevor sie an die öffentliche Hand zurückfallen. Diese kann außerdem gemeinwohlorientierte Zielsetzungen vertraglich festhalten und behält so die Kontrolle. Gefordert wird, entsprechende Verträge dennoch möglichst liberal auszugestalten, damit sich die temporären Eigentümer nicht zu sehr gegängelt fühlen. Gerade in Deutschland sind unnötige Einschränkungen demnach oft ein Problem und verhindern bisweilen die Anwendung des Erbbaurechts.

Weil in den meisten Gemeinden allerdings auch langfristig nur ein kleiner Teil des gesamten Territoriums in öffentlicher Hand sein werden, wird zudem eine effiziente (Teil-)Abschöpfung der Bodenrente für die Allgemeinheit gefordert. Dies soll geschehen durch eine allgemeine Bodenerwerbssteuer und eine Mehrwertabgabe nicht nur für neu ausgewiesenes Bauland. In der Bundesrepublik soll Gemeinden und Städten ferner durch preislimitierte Vorkaufsrechte der Grundstückserwerb erleichtert werden.

Boden behalten – Stadt gestalten

Boden behalten – Stadt gestalten
Brigitta Gerber, Ulrich Kriese (Hrsg.)

432 Pages
ISBN 9783906304502
rüffer & rub
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