Freundlicher Blick auf Beton

Ulf Meyer
20. avril 2023
Landeskrankenhaus Oberwart, 1971–1988/93, Matthias Szauer und Gottfried Fickl (Foto: © Architekturzentrum Wien, Sammlung, Nachlass Matthias Szauer)

Als im Jahr 2014 das Kulturzentrum Mattersburg im Burgenland, eines der besten brutalistischen Gebäude Österreichs, abgerissen werden sollte, entwickelte sich eine intensive Debatte über die Qualitäten der 1970er-Jahre-Architektur. Letztendlich führte sie 2017 aber nur zur teilweisen Unterschutzstellung des Gebäudes. Das Bauwerk von Herwig Udo Graf war einst Teil einer Initiative, Kulturzentren in den ländlichen Gegenden des Landes zu schaffen. Jene Teile der baugeschichtlich wertvollen Anlage, die nicht unter Schutz gestellt werden konnten, wurden 2019 abgebrochen. Ein Neubau aus der Feder des Büros Holodeck ergänzt den verbliebenen Altbestand heute.

Sauerbrunner Sparkasse, Mattersburg, 1970–1972, Herwig Udo Graf (Foto: © Architekturzentrum Wien, Sammlung, Vorlass Herwig Udo Graf)

Lange hatten Bauten im Stile des Brutalismus einen schweren Stand, und viele Menschen stören sich an ihrer Erscheinung und Materialität noch heute. Doch wie die Debatte um das Kulturzentrum Mattersburg zeigt, wird inzwischen in Österreich wie auch im Ausland der soziale Anspruch vieler brutalistischer Schulen, Kirchen und Kulturzentren anerkannt. Und auch ihr besonderer stilistisch-tektonischer Ausdruck wird mehr und mehr goutiert. Eine neue, freundlichere Bewertung der Sichtbetonbauten aus den 1960er- und 1970er-Jahren setzt sich zusehends durch. Allerdings beschränkt sich diese Rehabilitierung des Brutalismus vornehmlich auf Fachkreise. Wichtig ist sie dennoch: Vielerorts stellt sich die Frage, wie Betonbauten, in denen besonders viel graue Energie steckt, erhalten und weiterhin genutzt werden können. Denn sie abzubrechen, ist ökologisch vielfach nicht vertretbar.

Ein neues Buch, das der Architekturhistoriker Albert Kirchengast und der Kunsthistoriker Johann Gallis herausgegeben haben, zeigt nun, wie vielfältig die Architektur des Brutalismus ist. Es heißt schlicht »Brutalismus in Österreich 1960–1980« und versammelt diverse akademische Essays zum Thema. Nach Bundesländern gegliedert, verschafft die Publikation einen wertvollen Überblick über die Architekturproduktion nach den Jahren des Wiederaufbaus.

Ankogel Seilbahn Mittelstation, Mallnitz, 1966, Otto Baurecht, Martin Esterl und Ludwig Riedmann (Foto: © LMK Rudolfinum, Nachlass Hans-Jörg Abuja)
Fernheizkraftwerk Graz-Süd, 1960–1963, Ferdinand Schuster mit Jenö Molnar (Foto: Stefan Amsüss © Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften, TU Graz) 

»Dieser Band nimmt die Aufmerksamkeit für eine ›spröde‹ Phase der Architekturgeschichte zum Anlass für eine Entdeckungsreise zur Spätmoderne«, sagen die beiden Autoren selbst über ihr Buch. Von der Betrachtung der konkreten Bauwerke arbeiten sie sich darin zum ihnen zugrunde liegenden Zeitgeist und den Rahmenbedingungen zu ihrer Entstehungszeit vor: Die Kritik an der Formensprache der klassischen Moderne, aber auch an der oft oberflächlichen Geschichtslust der aufkommenden Postmoderne ließ die brutalistischen Architekten herbe, monumentale, graue Bauten erdenken. Ob der Brutalismus schlussendlich als die »menschenfeindliche« Strömung in die Architekturgeschichte eingehen wird, als die ihn seine Kritiker*innen sehen, oder doch als soziale Stilrichtung, muss sich noch erweisen. 

Die Leistung der Autoren des informativen Buches besteht indes darin, die Protagonisten, die regionalen Problemstellungen und die Abhängigkeit der Architekten von den Hochschulen und der Landespolitik minuziös herauszuarbeiten.

Brutalismus in Österreich 1960–1980. Eine Architekturtopografie der Spätmoderne in 9 Perspektiven

Brutalismus in Österreich 1960–1980. Eine Architekturtopografie der Spätmoderne in 9 Perspektiven
Johann Gallis und Albert Kirchengast (Hrsg.)

170 x 140 Millimeter
280 Pages
150 Illustrations
Paperback
ISBN 978-3-205-21334-5
Böhlau Verlag
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