Kunsthaus Zürich

Ulf Meyer
15. janvier 2021
Aus dem Kunsthaus-Erweiterungsbau blickt man über den Heimplatz hin zu den bestehenden Teilen des Museums-Ensembles (Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich)

Kaufhäuser und Kunstmuseen gehören zu den schwierigsten Bautypen einer großstädtischen Architektur, weil ihre Fassaden fast fensterlos sind und oft entsprechend »tot« wirken. Die Interieurs werden zumeist künstlich beleuchtet, denn Sonnenlicht ist für die Präsentation von Kunstwerken und Waren oft tabu. Allenfalls von oben kann Tageslicht gefiltert in die oberste Etage eines Kunstmuseums fallen, aber die Oberlichter sind nur selten vom Fußweg aus sichtbar und helfen dementsprechend wenig bei der Gliederung fensterloser Fassaden.

Diese Hürde bei der Gestaltung der Fassade einer wichtigen urbanen Kulturinstitution zeigte sich auch beim Neubau des Kunsthauses am Zürcher Heimplatz, den die Berliner Mannschaft des britischen Museums-Papstes David Chipperfield entworfen hat. Für die James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel hatte dieser zuletzt viel Anerkennung von Connaisseuren und mehrere Preise eingeheimst. In Zürich allerdings war die Ausgangslage aus drei Gründen ungleich schwieriger: Die Fassade am Heimplatz soll Bezüge zum bestehenden Kunsthaus-Konglomerat herstellen, anders als in Berlin müssen die Wände des Zürcher Neubaus Bildhintergründe für Kunstwerke sein und drittens gab es städtebaulich keine so spannende Umgebung wie in der unmittelbaren Nachbarschaft von Karl Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler.

Chipperfields Zürcher Bau ist ein kompakter und klarer Würfel. Seine monolithische Form orientiert sich an der benachbarten Kantonsschule von 1842. Die Fassaden des Neubaus sind aus Jurakalkstein massiv aufgemauert und durch Lisenen profiliert. Die Ansichten des Neubaus beziehen sich auf die beiden Bestandsgebäude des Kunsthauses von Karl Moser und dem Schweizer Büro Gebrüder Pfister. Während Moser jedoch mit dem Bildhauer Carl Burckhardt zusammenarbeitete und Schmuck und Architektur verband, muss Chipperfields Entwurf leider ohne diese Einheit auskommen.

Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich
Repräsentation und Alltagstauglichkeit

Die schlanken und regelmäßigen Lisenen mit gesägten Oberflächen verknüpfen den Neubau mit seinem Kontext. Der Stein ist in vertikalen Rippen angeordnet, die nur vor den Fenstern unterbrochen sind, in denen sie aus Gussstein bestehen – es handelt sich um senkrechte Betonfertigteile, die Naturstein ähneln. Sie gehen auch vor den Fenstern der Seitenlichtsäle durch und vereinheitlichen so den Bau optisch. Kalksteinfassaden finden sich an vielen öffentlichen Gebäuden in Zürich – so auch an der Universität, dem Hauptwerk Karl Mosers in der Schweizer Metropole, und an »seinem« Kunsthaus. Die Architekten reklamieren für sich, dass sie beim Entwurf des neuen Kunsthauses den »Museumsbesuch als angenehme Erfahrung« hoch schätzten und gleichzeitig dem »öffentlichen Charakter des Gebäudes« Rechnung tragen würden. Repräsentation und Alltagstauglichkeit sollen sich also die Waage halten.

Drei Eingänge verbinden Foyer und Vorplatz. (Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich)

Im Erdgeschoss an der Nordseite des Heimplatzes und damit dem Bestand direkt gegenüber liegen Café, Festsaal, Shop und die Räume der Museumspädagogik – dies sind die Funktionen, die mit gläsernen Öffnungen im strengen Raster den Neubau zur Stadt hin visuell wie auch im Wortsinne öffnen. Bar und Museumsshop haben separate Türen zum Heimplatz.

Das Café befindet sich im Erdgeschoss. (Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich)
Durchdenken statt neu erfinden

Die beiden Obergeschosse hingegen sind allein dem Kunstgenuss vorbehalten. Die Kunstwerke, die im Haus zu sehen sein werden, gehören zu den Bereichen »Klassische Moderne«, »Zeitgenössische Kunst« und »Wechselausstellungen« – sie sind in der Mehrheit nicht so radikal modern, dass sie nach einer neuen Art von Ausstellungsräumen verlangen würden und es genügt das Modell, das man im 19. Jahrhundert für die Kunstpräsentation ersonnen hat. Schon beim Architekturwettbewerb im Jahr 2008 war klar, dass David Chipperfield in Zürich nicht das Museum neu erfinden, sondern einen sorgfältig und bis ins Detail durchdachten Kunstraum schaffen wollte, der gut funktioniert und elegant ist, aber nicht in den Grundriss-Atlas des Museumsbaus des 21. Jahrhundert Aufnahme finden wird. Sein Kunsthaus muss für die Malerei des Impressionismus ebenso wie für Foto- und Video-Kunst sowie die disparaten Sammlungen Emil Bührle, Merzbacher und Looser dienen; und das wird es auch, wenn im Sommer 2021 die Kunstwerke Einzug halten. Am 9. und 10. Oktober soll das ganze Ensemble des Zürcher Kunsthauses feierlich neu eröffnet werden – mit dann vier Gebäuden: Dem Moser-Bau von 1910 und seiner Erweiterung aus dem Jahre 1925 (ebenfalls von Moser entworfen), dem Pfister-Bau (1958) und dem Müller-Bau (1976) – mit dem Architekten wie Chipperfield wenig anzufangen wissen – sowie dem aktuellen Neubau.

Die zentrale Halle erleichtert die Orientierung. (Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich)
Der Weg zur Kunst führt empor – wie bei Schinkel

Den Kern des neuen Kunsthauses bildet eine große Halle, die so hoch und tief wie das gesamte Gebäude ist und so die Etagen und die beiden Stadträume vor und hinter dem Neubau miteinander verbindet. Die den Bau in Falllinie des Hangs durchstoßende Halle verbindet den Heimplatz mit dem ein Geschoss höher gelegenen Garten der Künste auf der Rückseite. Dieser wird – kostenlos zugänglich – ein öffentlicher »Ausstellungsraum im Freien« sein.

Die Treppe ist das monumentale Zentrum des Hauses. (Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich)

Eine überbreite, monumentale Treppe bildet den Mittelpunkt des Kunsthauses. Chipperfield hat schon beim Neuen Museum in Berlin gezeigt, dass die von ihm geliebten Anleihen beim Klassizismus Pathos und Würde in derartige hohe Erschließungsräume zaubern. Von der Halle führt die Treppe in Zürich hinauf zur höheren Ebene der Kunst – genau wie die Freitreppe der James-Simon-Galerie.

Chipperfields Grundrissorganisation basiert auf dem Prinzip eines »Hauses der Räume«. Das klingt zunächst selbstverständlich, bedeutet hier aber die unterschiedliche Gestaltung der Räume in Bezug auf Proportion, Orientierung, Material und Beleuchtung, die jedem Saal einen anderen Charakter verleiht. Auch die Lichtverhältnisse sorgen für unterschiedliche Atmosphären in jedem Raum. Die Tür-Laibungen sind mit reflektierenden Metallbändern versehen, deren Spiegelwirkung das Haus optisch geschickt weitet.

Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich
Weiße Marmorböden kontrastieren mit Details aus Messing. (Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich)

Gemeinsam ist den kontemplativen Ausstellungssälen nur ihre Gestaltung mit edlen aber »unaufgeregten« Materialien: Sichtbeton und weiße Marmorböden im Foyer kontrastieren mit Eichenholz und Messing in den Sälen. Alle Ausstellungsräume im zweiten Obergeschoss haben Ober-, die meisten Räume in der ersten Etage wenigstens Seitenlicht.

Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich
Moderne Technik hinter gediegenen Oberflächen

Verwendet wurde zu neunzig Prozent Recyclingbeton. Hinzu kommt ein thermoaktives Bauteilsystem (TABS) mit in den Wänden und Decken verlegten Rohrnetzen, über die den Räumen Wärme zugeführt oder entzogen werden kann. Ein Erdsondenfeld dient als saisonaler Wärme- respektive Kältespeicher. Die Klimaanlage im Doppelboden muss nur geringe Wärme- und Kältelasten übernehmen. Sensoren in jedem Raum sorgen dafür, dass nur so viel gelüftet und klimatisiert wird, wie dies zum Einhalten der vorbestimmten Konditionen notwendig ist.

Die Galerien im zweiten Obergeschoss verfügen über Tageslichtdecken. (Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich)

Wenn das Tageslicht der Oberlichter nicht ausreicht, setzt automatisch die künstliche Beleuchtung ein. Auf den Dachflächen, die nicht durch Oberlichter oder haustechnische Anlagen belegt sind, wurden eine kleine Photovoltaikanlage installiert, die aber nur maximal zehn Prozent des Stromverbrauchs des Gebäudes decken kann.

Auch der Gang unter dem Platz hindurch wurde nobel ausgestaltet. (Foto © Juliet Haller, Amt für Städtebau, Zürich)

Über einen unterirdischen Gang ist der Chipperfield- mit dem Moser-Bau verbunden. Selbst diese Passage unter dem Heimplatz ist mit edlem Marmor verkleidet. Die Architekten wollten dennoch keinen »exklusiven Tempel für die Kunst« schaffen, sondern einen einladenden öffentlichen Ort, an dem Kunst von jedem erlebt werden kann.

Als »streng und groß« wie jetzt der Neubau war schon vor 120 Jahren der erste Bau des Kunsthauses Zürich beschrieben worden. Schon Mosers Kernbau ist »außen nüchtern« und im Innern feierlich gestaltet. Moser selbst hatte seinen »monumentalen Jugendstil« bei der ersten Erweiterung von 1925 zugunsten eines »neutralen« Bauens ohne Ornamente und mit glatten Wänden eingetauscht; die Architektur war nur noch Hintergrund, aber nicht mehr selber Kunst. Das Feierliche ist also dem Nüchternen in der Architektur des Kunsthauses Zürich schon vor hundert Jahren gewichen. Das gilt noch in erhöhtem Maße für den zweiten Bau von Hans und Kurt Pfister, einer reinen Ausstellungshalle. Dieser aufgeständerte weiße Block verstand sich ausschließlich als Behälter, der flexibel und funktional sein sollte.

Der Müller-Bau schließlich, der dritte Neubau für das Kunsthaus Zürich, war hinter dem Bestand in den Garten verbannt worden. Das von Erwin Müller und Heinrich Blumer aus Zürich entworfene Haus ist kaum wahrzunehmen. Ausstellungsräume auf drei Geschossen springen wie Schubladen darin vor. Die Inszenierung der Belichtung trat in Konkurrenz zum Ausstellungsgut. Dieser Bau wurde als »Nichtarchitektur« und »Museum der Verunsicherten«, das sich in den Hang duckt und nicht auffallen will, gebrandmarkt. 
Vor dem Hintergrund dieser Baugeschichte des Kunsthaus-Konglomerats ist der Chipperfield-Bau endlich eine selbstbewusste Setzung – der mächtige Kubus fasst den Stadtraum mit Kraft. Der Neubau steht auf dem Grundstück der Kantonsschule von Gustav Adolf Wegmann, die 1842 errichtet wurde. Chipperfield musste also auf einem vergleichsweise kleinen Grundstück ein großes Programm unterbringen. Als »konservativ und zurückhaltend« hatte das Preisgericht den Entwurf schon im Wettbewerb tituliert und dennoch – oder gerade deswegen – ausgewählt. Es wurde geliefert wie bestellt. Für Zürichs Museumslandschaft dürfte der Neubau eine Bereicherung für viele Jahrzehnte sein, bis es Zeit für den nächsten »Jahresring« des Kunsthauses wird.

Autres articles dans cette catégorie