Die Ausstellung »Critical Care« ruft Architekturschaffende zum Agitieren auf.

Architektur-Agitprop

Ulf Meyer
21. février 2020
Paulo Mendes da Rocha und MMBB architects: »SESC 24 Maio«, São Paulo, Brasilien, 2017; ein modernistisches Kaufhausgebäude in São Paulo wurde zu einem sozialen Kultur-, Sport- und Gesundheitszentrum umgebaut, das natürlich ventilierte und öffentlich zugängliche Räume bietet – sowie einen Swimmingpool auf dem Dach. (Foto © Ana Mello)

Anhand von 21 Beispielen will die Ausstellung »beweisen, dass Architektur und Urbanismus dafür sorgen können, den Planeten wiederzubeleben«. Ist er denn tot? Die vorgestellten Projekte sind durchwegs interessant und progressiv: Von einem nachhaltig gestalteten Dorf-Wiederaufbau nach einem Erdbeben in China über einen Überschwemmungsschutz durch traditionelle Bautechniken in Pakistan führt die Schau, die vom Deutschen Architekturzentrum (DAZ) beim Architekturzentrum Wien ausgeliehen wurde, zur Umnutzung eines Kaufhauses in São Paulo von Paulo Mendes da Rocha and MMBB architects. 

In dem »SESC 24 de Maio« genannten Gebäude wurden ein Restaurant, eine Bibliothek und ein Sportzentrum eingerichtet. Angesichts der vom Leerstand bedrohten Kaufhäuser in den deutschen Innenstädten ist das brasilianische Beispiel von großem Interesse: Mendes da Rocha hat das Erdgeschoss des leerstehenden Hauses geöffnet, aus der ehemaligen Parkgarage ein Café und Theater geformt und das Dach mit einer »Plaza do Sol« samt öffentlichem Swimmingpool gekrönt. Rampen beschreiben nun eine »Promenade architecturale« durch die teils geöffneten Etagen, Dachgärten und zweigeschossigen Veranstaltungshallen. 

Ebenso beeindruckend ist der Neubau einer Tofu-Fabrik, welchen die Architektin Xu Tiantian vom Büro DnA_Design and Architecture in Caizhai südlich von Shanghai entworfen hat. Geschickt in die Topographie von Songyang eingepasst, bietet der schlicht-elegante Holzständerbau wirtschaftlich wie ästhetisch eine neue Perspektive für das Dorf. 

Rural Urban Framework (RUF): Wiederaufbau des Dorfes Jintai, Provinz Sichuan, China, 2017; nach schweren Erdbeben und Erdrutschen in der chinesischen Provinz Sichuan wurde gemeinsam mit der lokalen Regierung ein Modellprojekt für eine nachhaltige Dorfentwicklung realisiert. (Foto © Rural Urban Framework (RUF))
Lacaton & Vassal, Frédéric Druot und Christophe Hutin: Transformation von 530 Wohnungen, Cité du Grand Parc, Bordeaux, Frankreich, 2016; ein modernistischer Großwohnbau wurde saniert und um großzügige Wintergärten und Balkone erweitert. (Foto © Philippe Ruault)

Da die Qualitäten von Projekten wie diesen aus der Ferne zwar einleuchtend, aber schwer überprüfbar sind, haben die beiden Kuratorinnen der Schau – die Direktorin des Architekturzentrums Wien Angelika Fitz und Elke Krasny, Professorin an der Akademie der bildenden Künste Wien – auch einige europäische Beispiele ausgewählt: neue Stadtquartiere in Wien und London etwa und die Revitalisierung des »Haus der Statistik« am Berliner Alexanderplatz, einem seit zehn Jahren völlig verwahrlost dahinvegetierenden sozialistischen Gebäudekomplex aus dem Jahr 1970. Schon seit 2015 setzt sich eine Bürgerinitiative für die Entwicklung des Areals als »Zentrum für Geflüchtete – Soziales – Kunst – Kreative« ein. Es wird ein neues Stadtquartier mit 300 Wohnungen gebaut. Den Plänen von Teleinternetcafé zufolge sind zwei Wohnhochhäuser und ein Büroturm geplant. Dazwischen liegen Innenhöfe und Stadtplätze, Experimentierhäuser, Dachgärten und Gemeinschaftsterrassen.

Xu Tiantian / DNA_Design and Architecture: Tofu Factory, Caizhai Village, Songyang, China, 2018; Architektin Xu Tiantian hat für den Bezirk Songyang in China eine Reihe von zusammenhängenden Interventionen zur Stärkung des ländlichen Raums entworfen... (Foto © Wang Ziling)
...darunter die Tofu-Fabrik in Caizhai, die gleichzeitig Produktionsstätte, öffentlicher Raum und touristischer Anziehungspunkt ist. (Foto © Wang Ziling)

Unterteilt sind die Projekte aus Nah und Fern in fünf Kategorien, die sich etwas holprig »Sorgetragen für Wasser, Grund und Boden, Reparatur, Fertigkeiten und Kenntnisse, öffentlichen Raum und Produktion« nennen. Ebenso krud wie diese ungelenke Titulierung ist der Überbau, den die beiden Wiener Kuratorinnen den Projekten übergestülpt haben. Die Architekturen sollen sich ihrer Vorgabe nach mit »den Problemen der Weltgemeinschaft auseinandersetzen wie Gemeinwohl, Ökologie, Feminismus, Kolonialismus, Bodenpolitik und Migration«. Damit ist die weltverbessernde Latte (allzu) hoch gelegt. Markig formulieren die Kuratorinnen: »Die Erde in der Notaufnahme. Menschengemachte ökologische und soziale Katastrophen drohen den Planeten unbewohnbar zu machen.« Dieser Alarmismus dient als Vorlage für erschreckend plumpe politische Aussagen: »Die Lage ist kritisch, dominiert von den Interessen des Kapitals sind Architektur und Urbanismus in die Krise verstrickt«, texten die beiden und trösten die Besucher*innen mit dem vollmundigen Slogan »Die Reparatur der Zukunft hat begonnen«. Zu allem Überfluss haben die Ausstellungsmacherinnen in den Galerieräumen Protest-Schilder aufgestellt, wie sie auf Demonstrationen verwendet werden. In Schönschrift wird darauf beispielsweise dem Neoliberalismus der Kampf angesagt. Man kann sich Schilder nehmen und durch die Türen des DAZ hindurch direkt auf die Bastille stürmen. Eigene Schlüsse sind nicht vorgesehen. 

Zuspitzung kann eine Leistung sein, aber diese Art von vordergründigem und im Wortsinn plakativem Agitprop überrascht in einer Wanderausstellung, die von einer berufsständischen Organisation nach Berlin geholt wurde: Das DAZ ist eine Initiative des Bundes Deutscher Architekten und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt.


Die Ausstellung im DAZ (Wilhelmine-Gemberg-Weg 6, Berlin-Mitte) ist bis 22. März 2020 geöffnet – von Mittwoch bis Sonntag, je zwischen 15 und 20 Uhr. Zu ihr erscheint ein Katalog. Am 24. Februar um 19 Uhr findet ein Talk zum Thema »Architektur des Sorgetragens« mit Elke Krasny und Matthias Böttger statt.

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