Architektur als Abenteuerspielplatz

Manuel Pestalozzi
24. mars 2021
Mit vielen Niveauunterschieden und spannenden Durchblicken stimulieren Christian Matt und Markus Dorner Neugierde und Raumwahrnehmung der Kinder. (Foto: Bruno Klomfar)

Die Pfarre St. Gebhard ist ein soziales Zentrum im Bezirk Vorkloster am westlichen Rand von Bregenz. 1961 wurde die Kirche von Wilhelm und Willibald Braun eröffnet, 1968 gestaltete der Architekt Guntram Mätzler einen Anbau: Im rechten Winkel schloss er entlang der Holzackergasse einen Pfarrsaal und einen dreigruppigen Kindergarten an. Im Dezember 2017 wurde dieser wegen seiner maroden Bausubstanz ein politisches Thema. Die Stadt entschied, einen Neubau in Angriff zu nehmen. Sie schloss einen Baurechtsvertrag mit der Pfarre als Grundeigentümerin ab. So bekam sie die Möglichkeit, für die nächsten 70 Jahre an der Holzackergasse einen Kindergarten zu betreiben, das rund 1400 Quadratmeter große Gelände gegebenenfalls auch für schulische Zwecke zu verwenden und darüber hinaus auch den Pfarrsaal und die angrenzende Spielwiese zu nutzen.

Das einheimische Architekturbüro Dorner \ Matt gewann im März 2018 den Wettbewerb um die Gestaltung des Neubaus. Das neue Gebäude in Passivhausqualität ist inzwischen fertig. Es beherbergt sechs anstelle der bisherigen drei Kindergartengruppen. Dies ermöglicht die Erweiterung des Angebotes um eine Ganztagsbetreuung, eine Mittagsverpflegung und Inklusionsgruppen.

Der Kindergarten ist in das Ensemble der bestehenden Pfarre St. Gebhard gut integriert. (Foto: Bruno Klomfar)
Kluge Setzung

Christian Matt und Markus Dorner gestalteten für die Kinder erlebnisreiche, spannende Raumerfahrungen. Das beginne beim Städtebau und ende bei den liebevollen Details – wie etwa der Eingangstür mit Gucklöchern, schreibt dazu die Architekturjournalistin Isabella Marboe in einem Artikel für Leben & Wohnen, eine Beilage der Tageszeitung Vorarlberger Nachrichten. Sie nennt den gelungenen Bau eine »Gehschule für Architektur«. 119 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren besuchen den Kindergarten. Im Erdgeschoss befinden sich die Räume der Inklusionsgruppen für 16 beeinträchtigte Kinder. Hierfür haben die Architekten eigens ein besonderes Raumkonzept entwickelt. Die übrigen vier Gruppen haben ihre Zimmer im ersten Stock.

Der neue Kindergarten St. Gebhard ist Teil eines kommunalen Ortsteilzentrums. Er fügt sich hervorragend zwischen die Bestandsbauten rundherum ein und passt zum bestehenden Ortsbild. Der Eingang befindet sich – wie übrigens auch jene der Kirche und des Pfarrsaals – an einem der Holzackergasse vorgelagerten Platz. Man betritt das Gebäude über ein Foyer und einen Bewegungsraum. Letzterer wiederum grenzt an einen Multifunktionsraum und den Hort. Architektonisch nimmt der Neubau insbesondere den Ausdruck des Pfarrsaals auf. Im ersten Obergeschoss rückt der Kindergarten dicht an die Bestandskante heran. Ingesamt ist ein markantes städtebauliches Gefüge entstanden. 

Das Nebeneinander von harten und gepolsterten Oberflächen ist ein wiederkehrendes Motiv im ganzen Bauwerk. (Foto: Bruno Klomfar)
Die Eingangstür ist mit zahlreichen Gucklöchern versehen. (Foto: Petra Rainer)
Räumlicher Reichtum

Im Inneren sind es vor allem verschiedenste Sichtbezüge und Höhenunterschiede, die den Bau zu etwas Besonderem machen. Lufträume verbinden den Gruppencluster im Erdgeschoss mit den vier Gruppen im ersten Stock. Von einer Nische im Obergeschoss aus lässt sich das Geschehen auf dem Vorplatz beobachten. Die Kinder können über die verschiedenen Ebenen hinweg kommunizieren – und sind zugleich auch besonders gut zu beaufsichtigen. Die Gruppenräume sind zum Garten hin orientiert und teilen sich eine Terrasse. Jeder Einheit ist auf der gegenüberliegenden Gangseite eine offene Garderobe zugeordnet, dahinter liegen im Nordwesten die Räume der Erzieherinnen. Erschließungswege werden im Gebäude zu Orten der Bewegung und Begegnung. Sie laden die Kinder ein, Abenteuer zu erleben. Die Gruppen- und Ausweichräume sind unterdessen Rückzugsorte, die Geborgenheit vermitteln. 

Viel Aufmerksamkeit ließen die Architekten auch den Details und der Materialisierung zukommen. So gibt es beim Küchenblock ausziehbare Podeste, damit die Kinder die Arbeitsfläche erreichen können. Polsterungen und Filzbespannungen für den Schallschutz erzeugen einen schönen Kontrast zu den Sichtbetonflächen und den Holzverkleidungen. Das Haus weckt die kindliche Neugier und fordert zu Erkundungstouren geradezu heraus.


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