Berliner Nacht-und-Nebel-Aktion

Manuel Pestalozzi
6. février 2020
Foto: Fridolin freudenfett via wikimedia.org, CC BY-SA 4.0; bearbeitet

Das Pound-Zitat ist weg, die deutsche Tageszeitung Welt spricht von einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Die Granit-Bodenplatte mit der Inschrift »Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein / Die Quadern wohlbehauen, fugengerecht, / Dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.« wurde diskret durch ein blankes Exemplar ersetzt. Der fortgesetzte Protest deutscher Architekt*innen und Journalist*innen, allen voran des Magazins Arch+ und des Stuttgarter Professors Stephan Trüby, hatte Erfolg. Der abschätzige Begriff »Usura« ist doppelbödig. Er hat eine antikapitalistische wie auch eine dezidiert antisemitische Bedeutungsebene, weist er doch auf Wuchergeschäfte hin, welche europäische Antisemiten den Juden seit Jahrhunderten vorhalten.

Veranlasst hatte die Installation der Platte der Architekt Hans Kollhoff, der die Bauten an den Platzrändern, die Leibniz-Kolonnaden, gemeinsam mit Helga Timmermann einst gestaltete. Das Zitat aus den »Cantos« von Ezra Pound (1885–1972), ein notorischer Antisemit und Mussolini-Verehrer, sollte wohl Kollhoffs architektonisches Credo in Worte fassen und auch irgendwie kulturell verankern. Heute kann man sagen: Das ist gründlich schiefgegangen! Den Anspruch an architektonische Qualität mit Fundstücken und Zitaten aus Literatur und Lyrik quasi zu veredeln, ist ein heikles Unterfangen mit vielen Fussangeln. Dies mag die Lehre sein, die sich aus der Geschichte mitnehmen lässt.

Der Auswechslung der Platte vorausgegangen war ein Beschluss der Berliner Bezirksverordnetenversammlung, den Bezirk zu beauftragen, »sich dafür einzusetzen, dass die antisemitisch konnotierte Bodenplatte auf dem Walter-Benjamin-Platz entfernt wird«. Der Eigentümer des Platzes, die international agierende Investmentgesellschaft Blackstone, ist der Entscheidung des Bezirks jetzt zuvorgekommen. 

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