Eine Recherche des Rundfunks Berlin-Brandenburg erhöht den Druck auf die Senatsbaudirektorin

Manuel Pestalozzi
20. octobre 2022
Spätestens Anfang 2023 soll der Masterplan für den Molkenmarkt vom Berliner Senat beschlossen werden. Bis dahin muss Petra Kahlfeldt noch viel Kommunikationsarbeit leisten. Wirklich helfen würde ihr aber zuvorderst ein sozial und ökologisch einwandfreies Vorzeigeprojekt. (Foto © DSK GmbH, Fotograf Sebastian Steinberg)

Der Molkenmarkt zwischen der Spree und Berlins Rotem Rathaus gilt als ältester Markt der deutschen Hauptstadt. Das Gebiet entwickelte sich stets dynamisch. Vom einst zentralen Markt mit dichter Bebauung und engen Straßen ist wenig erhalten geblieben. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände verwüstet, und der Bau der Grunerstraße tilgte den Großteil des noch verbliebenen historischen Restbestands. 

Die Planungen für eine urbane Verdichtung des Molkenmarkts begannen schon in den 1990er-Jahren mit den ersten Ideen zur Verlegung der Grunerstraße sowie zu einer Bebauung, die sich an der historischen Stadtstruktur orientiert. Der Bebauungsplan für den Molkenmarkt ist seit 2016 rechtsverbindlich. Er bildet die Grundlage für die weitere Ausarbeitung der Planungen.

Der Molkenmarkt ist bis heute ein Lücke im Gefüge der historischen Mitte Berlins. (Bearbeitete Luftaufnahme © Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen)
Nicht-Entscheidung sorgt für Zwist

Die Umgestaltung des Molkenmarkts ist eines der größten Bauvorhaben in Berlin. Interessiert wird es in ganz Deutschland und sogar im Ausland mitverfolgt. Unter großem Aufwand wurde ein offener städtebaulicher und freiraumplanerischer Wettbewerb (RPW) mit anschließendem Werkstattverfahren durchgeführt. Den ersten Preis teilten sich zunächst zwei Teams: OS arkitekter und die czyborra klingbeil architekturwerkstatt einerseits und die Bernd Albers Gesellschaft von Architekten und Vogt Landschaftsarchitekten andererseits. Zudem wurden acht Leitlinien erarbeitet. Vereinfacht gesagt, muss das neue Stadtquartier demnach bezahlbaren Wohnraum und kostengünstige Kulturräume bieten. Außerdem hat es den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus dem Klimawandel ergeben. Und die landeseigenen Grundstücke dürfen nicht privatisiert werden. Eine Wohnungsgesellschaft, die dem Land Berlin gehört, soll sie entwickeln.

Mitte September kam das besagte Werkstattverfahren schließlich zum Ende – ohne Sieger jedoch. Anders als vom größten Teil der Öffentlichkeit und nahezu allen Fachleuten erwartet, legte sich die Jury nicht auf einen der beiden eben genannten Entwürfe fest. Diese Nicht-Entscheidung hat sich inzwischen zu einem handfesten Skandal ausgewachsen, und einmal mehr fliegen in Berlin die Fetzen.

Es wurde ein Aufruf veröffentlicht, der es auf 230 Erstunterzeichner*innen brachte. Zu den Unterstützern des Protestschreibens gehört pikanterweise auch der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), der mit seinen »Stadtgesprächen« eigentlich versucht, den nach der Ernennung von Petra Kahlfeldt zur Senatsbaudirektorin vergifteten Diskurs in der Hauptstadt wieder auf eine konstruktive Ebene zurückzubringen. Der Titel des Aufrufs lautet »Für ein soziales und ökologisches Modellquartier am Molkenmarkt«. Den Verfasser*innen ist unverständlich, warum das Wettbewerbs- und Werkstattverfahren ohne Sieger endete. Sie sorgen sich, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen den Rahmenplan für den Molkenmarkt nun ohne klare Grundlage entwickelt und dabei womöglich die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens missachtet. Sie befürchten, dass am Ende ein Entwurf steht, der den acht Leitlinien nicht mehr gerecht wird. 

Die Senatsverwaltung präsentierte zum Ende des Werkstattverfahrens die beiden Siegerentwürfe. Eine endgültige Entscheidung fiel nicht. (Modellfotos: Hans-Joachim Wuthenow)
Petra Kahlfeldt wird misstraut

Stand Petra Kahlfeldt durch die Nicht-Entscheidung bereits unter Druck, bringen sie nun die Recherchen des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) noch mehr in Erklärungsnot. Vor wenigen Tagen erschien ein Beitrag, der herausarbeitet, wie die Website, die eigens zum Werkstattverfahren eingerichtet worden war, so geändert wurde, dass der Anschein entstand, es sei immer nur um eine Empfehlung für den weiteren Planungsprozess gegangen, nicht aber um eine Entscheidung für ein Projekt. Diese Anpassung geschah am Morgen des 12. September, also kurz vor der Bekanntgabe der Ergebnisse. Vorsatz? Die Anbahnung einer Mauschelei? Oder einfach nur die ungeschickte Behebung eines Fehlers?

Jedenfalls schossen sich Politiker*innen der Linken wie Katalin Gennburg und der Grünen, etwa Julian Schwarze, sogleich auf Petra Kahlfeldt ein. Gerade Gennburg wurde deutlich. Der Berliner Zeitung sagte sie, die Senatsbaudirektorin sei »nicht weiter tragbar«. Die Angegriffene selbst bleibt dabei, dass es nie um die Entscheidung für einen einzelnen Sieger gegangen sei. Gegenüber dem rbb sprach sie von einer »Inkonsistenz« in der Kommunikation. »Wo Menschen sind, passieren auch Fehler«, wird Kahlfeldt zitiert.

Also alles nur ein Missverständnis? Der rbb goss weiteres Öl ins Feuer und brachte ein Video auf YouTube ins Spiel, das am 14. April beim »Zwischenkolloquium Werkstattverfahren Molkenmarkt« entstanden sein soll. Wiederum ist die Rede von einem »prämierten Konzept«. Und diese Worte gebraucht – Petra Kahlfeldt, ausgerechnet.

Spätestens Ende Januar 2023 soll der Masterplan für den Molkenmarkt vom Senat beschlossen werden. Die Senatsbaudirektorin wird bis dahin noch einige Erklärungen liefern müssen, damit sich die Gemüter beruhigen. Wirklich helfen würde ihr aber wohl nur ein rundum gelungenes, nachhaltiges Projekt. Die neuerlich emotionale Auseinandersetzung zeigt nämlich einmal mehr, wie kolossal das Misstrauen ihr gegenüber weiterhin ist und wie schnell ihr eine böse Absicht unterstellt wird. Der Nicht-Entscheid am Molkenmarkt bestärkt ihre Kritiker*innen. Er lässt sie davon ausgehen, dass ihre schlimmsten Befürchtungen nun wahr werden und das Ziel einer ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklung Berlins nicht länger verfolgt wird.


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