Doris Day tanzt den Cha-Cha-Cha

Tina Mott
9. marzo 2023
Von links nach rechts: Ulrike Pitro, Jochen Hoog und Florian Sammer (Foto: © ASAP Hoog Pitro Sammer)

Fabrikantenvilla aus den 50er-Jahren – das klingt nach Cocktailempfang mit Gurkensandwiches, eleganten Damen in Chanel-Kostümen und einem ergrauten Hausherrn, der in Cardigan und Schlips Wodka-Martinis am Pool mixt.

Doch lange schon vergangen sind die guten alten Zeiten.

Gegen Ende des Jahrtausends versetzte der internationale Strukturwandel der einst prosperierenden Produktionsstadt Traiskirchen einen herben Schlag. Als das regionale Paradeunternehmen Semperit die Pforten seiner Reifenfabrik schloss und folglich auch die Zulieferbetriebe abwanderten, blieben nicht nur verwaiste Werkshallen zurück. Denn das jähe Ende des Industriezeitalters bedeutete ebenso den Niedergang einer gesellschaftlichen Epoche, der sich in den verlassenen Infrastruktur- und Wohngebäuden der Stadt widerspiegelte.

Eines dieser Objekte ist die Villa Zwach, einst ein schönbrunngelber Tempel der Diskretion und Etikette, wohlbehütet von einem blickdichten Zaun, waldmeistergrünen Fensterläden und adrett gestutzten Buchsbäumchen. Sie wurde im Jahr 1959 als Residenz des Direktors der Firma Waerag an einer städtebaulich spannungsvollen Lage errichtet; unweit des Hauptplatzes, am Saum zwischen dem flächengreifenden Gewerbegebiet und den Wohn- und Geschäftsstraßen der Innenstadt. An einer Nahtstelle in der urbanen Textur, an welcher verschiedene Maßstäbe, Körnungen und Typologien miteinander in Dialog treten.

Foto: Tschinkersten
Foto: Tschinkersten

»Die Stadtverwaltung erkannte das Potenzial des leerstehenden Hauses und kaufte es. Denn bereits seit Jahren verfolgt sie sehr engagiert die Strategie, freigewordene Industrieareale zu erwerben, um Reserveflächen für innovative Stadtentwicklungen bereitzuhalten«, berichtet Florian Sammer vom Wiener Planungsbüros ASAP im Gespräch. »Auf Initiative der Gemeinderätin Karin Blum wurde unser Team mit der Erstellung einer Nutzungsstudie betraut, und offenbar wussten wir mit unseren kreativen Konzepten zu überzeugen. Denn schließlich erhielten wir den Auftrag zur Umgestaltung der ehemaligen Industriellenvilla in das Kinder-Abenteuer-Labor ›KALO!‹.«

Und wie gelungen ist diese Verwandlung als kluges Meisterwerk der leisen Töne. Mit wenigen, jedoch sorgfältig gesetzten und orchestrierten Eingriffen bewirkten die Architekten die Transformation des privaten Einfamilienhauses zum öffentlichen Spiel- und Forschungsraum – Entdeckungsreise statt Dinnerparty, Trampolin statt Kristallvitrine.

Die herrschaftliche Villa wurde jedoch nicht der ihr innewohnenden Eleganz beraubt, entfaltet sie vielleicht sogar zum ersten Mal zur vollen Blüte. Von schweren Stoffen und Möbelstücken erlöst, durchströmt sie eine nicht gekannte Leichtigkeit, das Fließen der Raumsequenzen wird spielerisch und frei. Und dieses Ausloten neuer atmosphärischer, funktionaler wie auch choreografischer Perspektiven verleiht ihr eine geradezu beschwingte Lebendigkeit.

Doch sind es kleine, fein tarierte Verschiebungen, die diese grundlegende Transformation bewirkten: »Wir wollten nicht, dass es das Haus zerreißt!«, erklärt Florian Sammer schmunzelnd. »Bereits Hermann Czech ist ja dafür eingetreten, dass Architektur Hintergrund sein muss. Und so haben wir uns gefragt, wie sehr das Gestaltungskonzept aktivieren kann, aber eben auch, wie sehr es einen in Ruhe lässt.«

Foto: Tschinkersten
Foto: Tschinkersten

Diese gelassene Zurückhaltung zeigt sich bereits in der Außenerscheinung, wo wenige punktuelle Eingriffe den Charakter des Hauses grundlegend verändern: Ein einziges Panel im Zaun wurde durch den grafisch gestalteten Schriftzug »KALO!« ersetzt, alle Öffnungen blieben in ihren Abmessungen unverändert, doch die schweren Fensterläden wurden entfernt, ein warmer, heller Grauton ersetzt das ursprüngliche Kaisergelb. Und schon verwandelt sich die abweisende Exklusivität der Fabrikantenvilla in einen Ort der einladenden Offenheit, der die Aufmerksamkeit der Passanten gewinnt und sie zum Eintreten ermuntert.

Im Inneren wird das Konzept so konsequent wie überzeugend weitergeführt. In Zusammenarbeit mit der Elementarpädagogin Nina Panozzo entstand ein Funktionsprogramm, das die Neugierde und den Wissensdrang der Kinder im Kreativatelier, Materialtheater oder Forschungslabor wecken und herausfordern soll.

Das selektive Entfernen von Zwischenwänden schafft ein großzügiges Zimmergefüge mit zahlreichen Blickverbindungen, das durch die klare Fassung der einzelnen Nutzungsbereiche den Maßstab wie auch die Behaglichkeit eines Wohnhauses bewahrt. Durch das Aufbrechen der Geschossdecke und die Einführung einer Zwischenebene im Kinderlabor wird die Flächenhaftigkeit der Grundrisse aufgelöst und in eine plastische, dreidimensionale Raumstruktur übergeführt.

Foto: Tschinkersten

Der zurückhaltende Einsatz von ökologischen Materialien in gedeckten Farben schafft eine ruhige und doch heitere Atmosphäre. Weiß gestrichene Wände und ein heller Linoleumboden aus Naturkautschuk bilden den Rahmen für maßgeplante Möbel und Einbauten aus lebhaft gezeichnetem Brettsperrholz, transluzenten Polycarbonatstegplatten und kunstvoll geflochtenen Seilnetzen.

»Der räumliche Reichtum, den wir in der verlassenen Villa vorfanden, hat uns überrascht. Unser Ansatz bei der Gestaltung eines Hauses für Kinder war, die neuen Bedürfnisse sehr ernst zu nehmen und ebenso den baulichen Bestand. Denn wir wollten nicht didaktisch agieren oder bespaßen; es ging uns immer darum, Architektur zu schaffen«, resümiert Florian Sammer.

Und so darf die alte Dame noch einmal frischen Atem schöpfen, um in Würde, doch auch mit Elan und Schwung ihrem neuen Lebensabschnitt entgegenzutreten.


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