Kurpark, Parkplatz, Kulturplatz – der Davoser Arkadenplatz als Spiegel der Zeit

Daniela Meyer
14. ottobre 2022
Blick vom neuen Verbindungsflügel über den von Barão Hutter gestalteten Platz (Foto: Hanspeter Schiess)

Dieser Beitrag wurde aus der Artikelserie »Gutes Bauen Ostschweiz« übernommen, die seit September dieses Jahres bei unserem Schweizer Partnermagazin auf swiss-architects.com ein neues Zuhause erhalten hat und dort in einer eigenen Rubrik erscheint. Mit dem Format leistet das Architektur Forum Ostschweiz seit 2011 einen wichtigen Beitrag zur Architekturvermittlung. In den Beiträgen werden Bauten, Landschafts- und Ortsplanungen in den Schweizer Kantonen Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen, beider Appenzell, Glarus, Graubünden sowie im Fürstentum Liechtenstein besprochen, aber auch drängende Zukunftsthemen. Dies soll zu einer lebendigen Debatte um die Baukultur beitragen, zu der nicht nur Expert*innen, sondern alle eingeladen sind.
 
Die bisher publizierten Artikel finden Sie in zwei Bänden, die beim Schweizer Verlag Triest erschienen sind: »Raum. Zeit. Kultur« und »Stadt und Landschaft denken«.
 
Das Format wird getragen vom Bund Schweizer Architektinnen und Architekten (BSA), dem Bund Schweizer LandschaftsarchitektInnen (BSLA), dem Verband freierwerbender Schweizer Architekten (fsai), dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA), Swiss Engineering (STV) und dem Schweizerischen Werkbund (SWB) sowie von den Ostschweizer Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein.

Auf dem Platz liegt Schnee. Ein einfaches Holzpodest dient dem Orchester als Bühne, das die angrenzende Wandelhalle mit seinen Klängen erfüllt. Dort, unter der witterungsgeschützten Arkade, herrscht reges Gedränge. Herren mit schwarzen Hüten schreiten an den Läden vorbei und führen angeregte Unterhaltungen. Achteckige Betonpfeiler bilden den Abschluss der zum Platz offenen Arkade; dazwischen hängen weiße Kugelleuchten. Diese im Jahr 1915 festgehaltene Szene stammt aus Davos. Wer heute der Promenade entlang geht, der Hauptverbindungsachse zwischen den beiden Ortsteilen Davos Platz und Davos Dorf, stößt auf Höhe des Arkadenplatzes auf ein verblüffend ähnliches Bild. Die schwarzen Hüte fehlen zwar auf den Köpfen der Passanten, und anstelle des Holzpodests ist eine mobile Bühne getreten. Doch die Arkade, die den Platz auf drei Seiten umgibt, scheint sich in ihrer Erscheinung kaum verändert zu haben. Dabei liegen zwischen dem heutigen Bild und der historischen Aufnahme über hundert Jahre, und der Ort verfügt über eine bewegte Geschichte.

Dem Südflügel ist kaum anzumerken, dass es sich um einen Neubau handelt. Anders als früher gibt es dort nun auch Geschäfte. (Foto: Hanspeter Schiess)
Kulturelles Zentrum zu Zeiten des Kurtourismus

Sie nimmt ihren Anfang auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo heute das Hotel Europe steht. Dort wurde 1866 mit der Gründung des »Curhaus« der Grundstein für den Davoser Kurtourismus gelegt. Ab 1881 entstand gegenüber dem Hotel ein zugehöriger Kurpark. Schon bald trafen dort Intellektuelle und Adlige aus ganz Europa aufeinander und machten aus dem Bergdorf einen mondänen Kurort. Dabei spielte die Unterhaltung der internationalen Gäste eine zentrale Rolle. Debatten, Lesungen und Konzerte im Park gehörten genauso zu ihrem Alltag wie verschiedene sportliche Aktivitäten. Schon nach kurzer Zeit wurde die Parkanlage durch eine talseitige Aufschüttung erweitert. Es folgten verschiedene bauliche Anpassungen, um sie den sich stets wandelnden Anforderungen anzupassen. 1911 wurden schließlich die Zürcher Architekten Otto Pfleghard und Max Häfeli mit deren Neugestaltung betraut. Aus ihrer Hand stammen die beiden sich heute noch gegenüberliegenden Ladenpassagen, wobei nur noch eine davon originalen Ursprungs ist. In den südlichen Flügel integrierten sie damals eines der ersten Kinos von Davos, eine neue technische Errungenschaft. Diese von Pfleghard und Häfeli erstellte Anlage sollte mehr als ein Jahrhundert und sämtliche damit einhergehenden Turbulenzen überdauern. 

Mit der Entdeckung einer medikamentösen Therapie gegen die Tuberkulose in den 1940er-Jahren leerten sich die Sanatorien in den Bergen schlagartig. Doch der Stadt gelang es, sich vom Kur- zum Wintersportort zu transformieren, und so profitierte sie in der Nachkriegszeit vom aufkommenden Massentourismus. Das hatte allerdings seinen Preis: Um den vielen Autos Platz zu machen, wurde der einstige Kurpark in den 1960er-Jahren asphaltiert und zu einem Parkplatz degradiert. Etwa zur selben Zeit wurde an die südliche Arkade anstelle der ehemaligen Villa Batavia ein Wohn- und Geschäftshaus angebaut, in dem die Graubündner Kantonalbank (GKB) ihren Regionalsitz eröffnete.

Die aus Keramik geformten Majolika, die beim Nordflügel aufgrund des neuen Verbindungsbaus entfernt werden mussten, hängen nun an der Fassade. Sie erinnern unter anderem daran, dass hier früher sportliche Aktivitäten ausgeübt wurden. (Foto: Hanspeter Schiess)
Die achteckigen Betonpfeiler und die weißen Kugelleuchten erinnern an die Entstehungszeit und verleihen den Arkaden ein einheitliches Erscheinungsbild. (Foto: Hanspeter Schiess)
Verlegung der Parkplätze auf Kosten des originalen Südflügels

Erst der geplante Ersatz dieses Gebäudes, für den die GKB im Jahr 2016 einen Wettbewerb veranstaltete, gab den Ausschlag dazu, die Parkplätze in den Untergrund des Neubaus zu verlegen. Die dazu notwendigen Bauarbeiten hatten allerdings zur Folge, dass der Südflügel der historischen Anlage abgebrochen werden musste. Im Gegensatz zum Nordflügel, der im Besitz der Gemeinde ist, stand der Südflügel nicht unter Denkmalschutz. Dennoch war für die Architekten Dieter Jüngling und Andreas Hagmann aus Chur klar, dass die nördliche Arkade wieder ein äquivalentes Gegenüber erhalten soll. Beim Wiederaufbau des Südflügels orientierten sie sich an den kolorierten Zeichnungen von Pfleghard und Häfeli aus der Entstehungszeit. Die Neuinterpretation der darin vorgefundenen Idealvorstellung erlaubte den Architekten einen gewissen Spielraum, der es ihnen ermöglichte, die Ladenpassage und das angrenzende Bankgebäude an die heutigen Bedürfnisse anzupassen. So reihten sie beispielsweise die früher nur stellenweise vorhandenen Oberlichter über die gesamte Länge der Arkade aneinander, um die Passage optimal zu belichten. Analog zum Nordflügel bauten sie auch auf der Südseite Ladenlokale ein. Der angrenzende Ersatzneubau verfügt über vier Untergeschosse inklusive der verlegten öffentlichen Parkplätze, eine zweigeschossige Bankfiliale und drei Wohngeschosse. Die zu Einheiten zusammengefassten, verglasten Balkone zeichnen sich durch ein silbern geschupptes Blechkleid aus, das sie von der weiß verputzten Fassade abhebt. Ihre Erscheinung erinnert an die Liegebalkone der ehemaligen Kurhäuser. Auch das auskragende Flachdach ist ein typisches Element der Davoser Baukultur. Nicht mehr zu finden ist hingegen der historische Kinosaal.

Das Foyer im Verbindungsflügel besitzt wie der Platz einen roten Bodenbelag, was seinen öffentlichen Charakter betont. (Foto: Hanspeter Schiess)
Städtebauliche Komposition mit historischen Wurzeln

Doch ganz verschwunden ist das letzte in Davos verbliebene Kino nicht: Während die Planung für den Ersatz des Südflügels voranschritt, schrieb die Gemeinde 2017 ebenfalls einen Wettbewerb aus. Der Arkadenplatz sollte neugestaltet und der denkmalgeschützte Nordflügel renoviert werden. Kaum war das Architektenduo Barão Hutter aus St. Gallen mit dem Auftrag betraut, zeigte sich, dass sich der Ersatz für den abgebrochenen Kinosaal nicht mehr im Südflügel unterbringen ließ. Mit der zusätzlichen Aufgabe beauftragt, den neuen Kulturraum an anderer Stelle unterzubringen, richteten Ivo Barão und Peter Hutter den Blick auf die Anfänge des Kurparks. Dort hatte Fritz Stehlin 1892 eine U-förmige, gedeckte Wandelbahn erstellt.

Mit der erneuten Schließung der Ostseite greifen die Architekten auf diese frühe städtebauliche Komposition zurück und bringen sie in Einklang mit den später erstellten Arkaden. Der in warmen Rottönen gehaltene eingeschossige Verbindungsbau fügt sich unauffällig zwischen den Nord- und den Südflügel ein. Trotz der tiefgreifenden baulichen Eingriffe und Ergänzungen, die rund um den Platz stattgefunden haben, zeigt sich dort nach den 2021 abgeschlossenen Bauarbeiten ein harmonisches Bild. Das Ensemble entstand im engen Austausch zwischen den beiden beteiligten Architekturbüros und der Denkmalpflege. Sie definierten vier Elemente, die sich auf allen drei Seiten wiederfinden: Eine Betonstufe bildet den Abschluss der offenen Platzfläche und hebt das Niveau der Arkade gegenüber dem Platz leicht an. Analog dazu bilden die Unterzüge über den Stützen einen einheitlichen horizontalen Abschluss. Am prägnantesten aber sind die achteckigen Betonpfeiler und die weißen Kugelleuchten, die in den Zwischenräumen hängen und die Arkaden rhythmisieren – ein Bild, das sich den Betrachtenden vor über hundert Jahren bereits einmal bot.

Nicht bloß ein Kino: Der neue Saal ist als «Blackbox» gestaltet und multifunktional nutzbar. (Foto: Hanspeter Schiess)
Neues kulturelles Zentrum

Wenn heute der Schnee auf dem Arkadenplatz im Frühling schmilzt, kommt der rot eingefärbte Belag aus Stahlfaserbeton zum Vorschein, durchzogen von einem hellen geometrischen Muster, das die drei angrenzenden Bauten miteinander in Beziehung setzt. Der zurückgewonnene Freiraum ist das unbestrittene Herzstück der Anlage. Hier begegnen sich Einheimische und Touristen, sei es bei einer Veranstaltung, auf ihrer Einkaufstour oder bei einer Tasse Kaffee. Auf dem urbanen Platz werden Konzerte und Public Viewings abgehalten; im angrenzenden Kulturraum finden Filmvorführungen, Lesungen und Theaterinszenierungen statt. Davos hat wieder ein kulturelles Zentrum, das die Geschichte aufleben lässt und fortschreibt.

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