Zwei auf einen Streich

Katinka Corts, Elias Baumgarten
5. februari 2021
Foto: Christian Flatscher

Vor einigen Wochen diskutierten Friederike Kluge und Meik Rehrmann (Alma Maki) aus der Schweiz, der deutsche Architekt Martin Haas (haascookzemmrich STUDIO2050) und vai-Direktorin Verena Konrad in unserem Magazin über eine zukunftsfähige, menschen- und umweltfreundliche Baukultur. Die ausgewiesenen Expert*innen forderten einhellig, Nachhaltigkeit künftig ganzheitlich zu denken. Ein Büro, das sich sehr engagiert dem gerecht zu werden, ist SnøhettaKürzlich wurde im norwegischen Porsgrunn, das rund 160 Kilometer von Oslo entfernt liegt, bereits das vierte »Powerhouse« der Architekt*innen fertig. Das Bürogebäude produziert über seinen gesamten Lebenszyklus (mindestens sechzig Jahre) mehr Energie als es verbraucht – unter Berücksichtigung der CO2-Bilanz von Bau, Abbruch und verwendeten Materialien. Dem Tiroler Reiseanbieter ASI, der sich schon lange auf nachhaltigen Tourismus spezialisiert hat, schien Snøhetta deshalb ein besonders geeigneter Partner für die Gestaltung seines neuen Hauptgebäudes in Natters zu sein. Schließlich wünschte sich die Firma ein zukunftsweisendes, möglichst umwelt- und ressourcenschonendes Projekt. Auch wenn in Tirol kein weiteres »Powerhouse« entstanden ist, realisierten die Gleichgesinnten gemeinsam doch ein herausragendes Gebäude, das nicht nur in Sachen Nachhaltigkeit gut aussieht, sondern vor allem auch große architektonische Qualität hat.

Foto: Christian Flatscher
»Gegenüber einem herkömmlichen Gebäude aus Beton konnten wir mehr als die Hälfte der grauen Energie, also der Energie, die ein Material über den gesamten Lebenszyklus verbraucht, einsparen.«

Patrick Lüth

Zunächst prüften Bauherrschaft und Architekt*innen die Möglichkeit, einen bestehenden Bürobau umzugestalten – dessen Substanz erwies sich jedoch als zu marode. Snøhettas Innsbrucker Studio entwickelte daraufhin einen Neubau, der als Mischung aus Holzskelett- und Holzmassivbau konstruiert ist. Dadurch konnte der Materialeinsatz minimiert werden. Zudem erhielt das Gebäude, das an einem Waldrand steht, eine von Pflanzen bewachsene Holzfassade. Während der heißen Sommermonate lässt das Grün weniger Sonnenstrahlen ins Gebäude, der Kühlbedarf sinkt. Im Winter hingegen, wenn die Pflanzen keine Blätter tragen, heizt die Sonne das Haus auf und hilft so Energie zu sparen. Außerdem wird der Bau natürlich belüftet: Gesteuert über CO2-Sensoren und Temperaturfühler öffnen und schließen sich die mechanisch angetriebenen Lüftungsflügel.

Großartig sind die Innenräume, die architektonisch mit schönen Atmosphären und präzise ausgearbeiteten Details begeistern. Letztere werden zum Beispiel im Bereich der fein strukturierten Holzdecken besonders augenscheinlich. Eine Galerie lässt einen durchgehenden Raum über mehrere Etagen entstehen, der Arbeitsplätze, Empfang und eine Cafeteria umfasst. Große Fenster eröffnen schöne Ausblicke hin zu den Bergen und Wäldern Tirols. Besucher*innen werden in einem großzügigen Foyer empfangen, wo die Geschichte des Unternehmens auf Wandpaneelen erzählt wird. »Pflanzen-Regale« gliedern die Büros und bringen viel Grün ins Gebäude.

Foto: Christian Flatscher
Foto: Christian Flatscher
Lukas Mayr, Umbau einer Schlosserei zum Wohnhaus, Innichen, 2020 (Foto: Oliver Jaist)
Von der Schlosserei zum Wohnhaus

Wohlgefallen konnte auch Lukas Mayr erregen. Im Dorfzentrum der Südtiroler Gemeinde Innichen (San Candido) baute er eine ehemalige Schlosserei zum Wohnhaus um – mit überaus tatkräftiger Unterstützung der Bauherrschaft, die viele Arbeiten selbst übernahm. Das Niedrigenergiehaus mit auffälliger Metallfassade, die je nach Jahreszeit in unterschiedlichen Farben glänzt, bietet wunderbare, zuweilen mehrgeschossige Innenräume.

Foto: Oliver Jaist
Foto: Oliver Jaist
Foto: Oliver Jaist
Kontemplative Aussichten

Besonders gefallen hat Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, weiterhin das eingangs erwähnte Projekt »Perspektivenweg« von Snøhetta. Auf der Nordkette oberhalb der Tiroler Landeshauptstadt soll es mit Aussichtspunkten aus Holz und Stahl Innsbrucks Hausberg, der bis anhin vor allem von Sportler*innen genutzt wurde, für alle als Erholungsraum attraktiv machen. Die Bänke und Plattformen inszenieren den wunderschönen Ausblick auf die Stadt, das Inntal und die alpine Landschaft rundherum. Snøhetta wünscht sich, dass die Stationen zur Reflexion und inneren Einkehr einladen. Um dies zu unterstreichen, wurden alle Elemente mit Zitaten des Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889–1951) versehen.

Snøhetta, »Perspektivenweg« auf der Nordkette, Seegrube, 2018 (Foto: Christian Flatscher)
Foto: Christian Flatscher

Knapp hinter dem Bronze-Rang schafften es das Wiener Quartiershaus »MIO« von Lina Streeruwitz und Bernd Vlay und der Holzbau der Vorarlberger Firma din Sicherheitstechnik von Fink Thurnher unter Ihre Top-Five.

Wir gratulieren den Architekt*innen, Bauherrschaften, Firmen und Handwerker*innen hinter Ihren drei Favoriten herzlich. 

StudioVlayStreeruwitz, Quartiershaus »MIO«, Wien, 2019 (Foto: Bruno Klomfar)
Fink Thurnher, Bürogebäude für din Sicherheitstechnik, Schlins, 2019 (Foto: Hanno Mackowitz)
Foto: Hanno Mackowitz
Auch in den Vereinigten Staaten, Deutschland und der Schweiz wählten unsere Leser*innen jeweils einen Bau des Jahres 2020. Folgende Projekte erhielten die meisten Stimmen:
 
Bau des Jahres 2020, American-Architects
JGMA, Esperanza Wellness Campus, Chicago
 
Bau des Jahres 2020, German-Architects
Kresings, Raspberry Haus, Münster
 
Bau des Jahres 2020, Swiss-Architects
Liechti Graf Zumsteg, Generationenhaus der Emil-Burkhardt-Stiftung, Bad Zurzach

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