Umfassende Hoffmann-Retrospektive in Wien

Manuel Pestalozzi
16. december 2021
Diesen Tisch entwarf Josef Hoffmann 1905 für die Wohnung von Hermann Wittgenstein. (Foto © MAK / Georg Mayer)

Josef Hoffmann (1870–1956) wurde Zeuge mehrerer kunstgeschichtlicher Epochen und lebte überhaupt in wechselvollen Zeiten. Der vielseitig begabte Architekt und Designer erlebte fünf verschiedene politische Perioden, von der k. u. k. Monarchie bis zur Zweiten Republik. Entsprechend breit war sein gestalterisches Repertoire. Groß ist auch das Spektrum an Werken von ihm, die derzeit im Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien gezeigt werden. Zu sehen sind Arbeiten von ganzen Wohnanlagen über Ladeneinrichtungen, Möbelstücke und Besteck bis hin zu Gürtelschnallen. Man entdeckt noch einmal neu, dass Hoffmann sich nahezu jedem Lebensbereich widmete. 

Diese Gürtelschnalle entwarf Josef Hoffmann im Jahr 1905 für die Wiener Werkstätte. (Foto © MAK / Georg Mayer)

Der ursprünglich aus wohlhabendem, gutbürgerlichem Hause stammende Hoffmann gilt als einer der wichtigsten Geschmacks- und Identitätsstifter seiner Zeit. Er pflegte als langjähriger Lehrer, einflussreicher Kunstgewerbedesigner und Mitbegründer der Wiener Secession, der Wiener Werkstätte sowie des Werkbunds ein beispielhaftes, »modernes«  Lebensmodell. In seinem Pionierdenken vereinte er einen künstlerisch ambitionierten architektonischen Ansatz mit einer handwerklich geprägten Produktkultur.

Bei Josef Hoffmanns Eingangspavillon der Wiener Kunstschau aus dem Jahr 1908 findet man Anklänge an den Jugendstil. (Foto © MAK)

Die Ausstellung »Fortschritt durch Schönheit« im MAK soll einen Bogen von seiner Jugend und seiner Studienzeit an der Wiener Akademie der bildenden Künste bis zu seinem Tod spannen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Nachhall seiner Werke in Architektur, Kunstgewerbe und Design bis heute. Beleuchtet wird dies ausgehend von seinen bekanntesten Projekten und Bauten: dem Sanatorium Westend in Purkersdorf (1904–1905), dem Palais Stoclet in Brüssel (1905–1911), der Wiener Kunstschau (1908), dem österreichischen Pavillon für die Werkbundausstellung in Köln (1914), dem Pavillon für die Exposition internationale des Arts décoratifs et industriels modernes (1925), der Werkbundsiedlung in Wien (1931) und dem Pavillon für die Biennale von Venedig (1934). Eine multimediale Zeitleiste führt die Besucher*innen durch Hoffmanns Leben und verweist auch auf bisher weniger beachtete Projekte und Texte.

Das Sanatorium Westend in Purkersdorf aus dem Jahr 1905 gehört zu den bekanntesten Bauten von Josef Hoffmann. (Foto © Wolfgang Woessner / MAK)

Eine Rekonstruktion des von Josef Hoffmann für die Pariser Weltausstellung entworfenen »Boudoir d’une grande vedette« (1937) ermöglicht ein unmittelbares Erleben seines Raumdenkens. Erstmals zu sehen sind unter anderem Einrichtungsgegenstände aus der Villa für Sonja Knips (1924) und der Internationalen Kunstgewerbeausstellung in Paris (1925). Außerdem erlaubt die Ausstellung eine Auseinandersetzung mit noch nie gezeigte Entwürfen Josef Hoffmanns aus den Jahren der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Auch Unterlagen aus Archiven der Firmen J. & J. Lobmeyr, J. Backhausen & Söhne und der Wiener Porzellanmanufaktur Augarten sind zu sehen.

Und noch eine Besonderheit gibt es in der sehenswerten Schau: Speziell für sie programmierte der Architekt und international bekannte KI-Experte Ben James einen Algorithmus, der Hoffmanns typische Formensprache für neue Entwurfsaufgaben kombinatorisch anwendet. Dieses Ineinandergreifen von digitaler Technik und Baugeschichte soll Architekt*innen und Designer*innen von heute inspirieren. 

Eine besondere Nähe zur gestalterischen Intensität Josef Hoffmanns gewährt die Rekonstruktion des »Boudoir d’une grande vedette«, das im Original für die Pariser Weltausstellung von 1937 entstand. (Foto © MAK / Georg Mayer)

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