Zum Tod von Balkrishna Doshi: Ein Menschenfreund zwischen lokaler Tradition und Moderne

Elias Baumgarten
27. janeiro 2023
Foto: © Vastushilpa Foundation

Vital wie ein Kind, doch weise und gleichmütig wie ein Guru habe er gewirkt, erinnert sich unsere Autorin Susanna Koeberle gerne an ihr Zusammentreffen mit Balkrishna Doshi im Vitra Design Museum. Sie war im Frühling 2019 nach Weil am Rhein gekommen, um über die große Retrospektive »Balkrishna Doshi. Architektur für den Menschen« zu berichten, und von der Lebensfreunde und Präsenz des damals bereits 92-jährigen Pritzker-Preisträgers tief beeindruckt, ja bewegt. Denn in Mitteleuropa sind zufriedene, in sich ruhende Menschen eine seltene Spezies.

Prägende Lehrzeit bei Le Corbusier

Doch nicht nur die Persönlichkeit des Inders war etwas Besonderes: Seine Architektur, die zugleich von lokalen Bautraditionen und dem Erbe der Moderne geprägt ist, machte ihn weltbekannt. Doshi, der als Sohn eines Tischlers aus einfachen Verhältnissen stammte und in Bombay Architektur studiert hatte, konnte viele Privathäuser und institutionelle Bauten verwirklichen. Zudem plante er große städtebauliche Anlagen. 

Beeinflusst wurde er in besonderem Maße von Le Corbusier: Er absolvierte ein unbezahltes Praktikum in dessen Pariser Büro, obschon er zunächst kein Französisch sprach – eine harte, aber ungemein prägende Zeit für Doshi. Er verstand sich gut mit dem Meister und erhielt schließlich eine Festanstellung, um an Le Corbusiers Projekten in Indien zu arbeiten. Als ihm 2018 der Pritzker-Preis verliehen wurde, die wohl wichtigste Auszeichnung für Architekturschaffende der Welt, sagte er: »Ich verdanke diesen angesehenen Preis meinem Guru Le Corbusier. Seine Lehren haben mich dazu gebracht, über Identität nachzudenken, und haben mich gezwungen, neue regionale, zeitgenössische Ausdrucksformen für einen nachhaltigen, ganzheitlichen Lebensraum zu finden.«

Alle Kapitel des Films »Doshi: The Second Chapter« von Bijoy and Premjit Ramachandran finden Sie auf vimeo.com. 
Bauten zur Überwindung sozialer Grenzen

Mitte der 1950er-Jahre kehrte Doshi in seine Heimat zurück. In Ahmedabad gründete er sein eigenes Büro: Vāstu-Shilpā. Ständig bestrebt, seinen Wissensschatz zu erweitern, reiste er 1958 in die Vereinigten Staaten, wo er viele Größen aus der Architektur-, Kunst- und Designwelt kennenlernen durfte, darunter Ludwig Mies van der Rohe, Josep Lluís Sert, Charles und Ray Eames, Friedrich Kiesler und Eduardo Chillida. Unmittelbar im Anschluss machte Doshi sich auf nach Japan. Die Architektur des Landes und seine starke Kultur beeindruckten ihn sehr. Inspiriert von den Erfahrungen im Ausland, begann er sich mit der indischen Architektur auseinanderzusetzen. Die Beschäftigung mit den lokalen Gegebenheiten seiner Heimat hatte fortan große Bedeutung für Doshis Baukunst.

Sein erster großer Auftrag als selbstständiger Architekt war eine Werksiedlung mit Gästehaus für die Ahmedabad Textile Industry’s Research Association. Schon bei diesem Projekt zeigte sich Doshis Interesse an der sozialen Dimension der Architektur. Ein herausragendes Beispiel für die Haltung des Menschenfreunds ist die Wohnsiedlung »Aranya« in Indore aus dem Jahr 1989. Sie war für Menschen mit geringem Einkommen gedacht. Doshi analysierte zunächst die Elendsviertel und wartete dann mit einem ungewöhnlichen Vorschlag auf: Menschen unterschiedlicher Schichten sollten Tür an Tür leben. Dieses Ziel erreichte Doshi durch einen Kniff: Die öffentlichen und kulturellen Einrichtungen ordnete er entlang einer diagonal verlaufenden Achse an, an der auch die Häuser der Geringverdiener standen. Auf diese Weise hatten beispielsweise Kinder der unterschiedlichen Schichten den gleichen Schulweg. Das Projekt wurde zum Erfolg, gehören die Bewohner*innen der Anlage doch heute zur Mittelschicht. Doshi erhielt für diese Leistung 1995 den renommierten Aga Kahn Award for Architecture.

Ab 1962 arbeitete Doshi mit Louis Kahn am Campus des Indian Institute of Management in Bangalore. Neben Le Corbusier entfaltete auch Kahn einen starken Einfluss auf seine Architektur. Erst allmählich emanzipierte er sich von seinen Vorbildern, ohne aber je die Wertschätzung für sie zu verlieren. 

Das »Sangath« verdeutlicht wie kaum ein anderes Bauwerk Doshis Haltung. (Foto: © Vastushilpa Foundation)
Ein Bürohaus als Schlüsselwerk

Doshis Haus »Sangath« (1981), in dem sich sein Büro befand, ist ein Manifest seiner Baukunst und zeigt seinen ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Die Räumlichkeiten hätte man wohl am trefflichsten als Denklabor bezeichnen können, denn sie wurden rege für Veranstaltungen genutzt. Teilweise sind die Räume ins Terrain gebaut, sodass sie die Atmosphäre von Höhlen verströmen. Und bewusst ist der Eingang etwas versteckt. – Wie Jolanthe Kugler, die die eingangs erwähnte Retrospektive für das Vitra Design Museum anpasste, meint, um die Besucher*innen zu animieren, länger in dem wunderbaren Garten der Anlage zu verweilen.

Die Nachricht von Doshis Tod löste auch außerhalb der Architekturszene große Anteilnahme aus. Indiens Premierminister Narendra Modi schrieb auf Twitter: »Dr. BV Doshi Ji was a brilliant architect and a remarkable institution builder. The coming generations will get glimpses of his greatness by admiring his rich work across India. His passing away is saddening. Condolences to his family and admirers. Om Shanti.« Und Martha Thorne, die geschäftsführende Direktorin des Pritzker-Preises, formulierte auf Facebook: »Doshi and his family embraced me, cared for me, accompanied me, and just by being themselves, they surrounded me with love, as a close family member. This generosity of spirit was always present in everything that Doshi did. His great respect and faith in people were evident in his approach to architecture and to life.« Diese Posts zeigen die Bedeutsamkeit des Architekten, der sich stets um das Wohlergehen seiner Landsleute sorgte, statt prestigeträchtigen Großaufträgen im Ausland nachzujagen. Balkrishna Doshi ist am 24. Jänner in Ahmedabad verstorben.

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