Im Tal verankert

Katinka Corts
21. 六月 2019
Foto: Adolf Bereuter

Kaum hört man »Vorarlberg«, schon denkt man an Holzarchitektur. Doch in Schruns, keine halbe Stunde mit dem Zug von Bludenz entfernt, ist das ein voreiliger Schluss. Denn während in den Gemeinden des Bregenzerwaldes tatsächlich traditionell Holzbau vorherrscht, wurde das Montafon anders beeinflusst: Einst aus dem Süden von den Walsern besiedelt, brachten diese die Tradition des Bauens aus Stein mit in die neue Heimat. 

Neues Bauen nach historischem Vorbild

So verwundert es nicht, wenn diese Bauweise auch bei einem aktuellen Neubau zum Zuge kommt: Bernardo Bader Architekten planten für die Silvretta Montafon GmbH, eines der größten Bergbahn- und Tourismusunternehmen Österreichs, ein Ausbildungs- und Verwaltungsgebäude in Schruns. Es steht direkt an der Silvrettastraße, die den Kirchplatz im Ortszentrum der Marktgemeinde durch das Montafon hindurch mit der Bielerhöhe verbindet. In Schruns lebte man lange Zeit von Viehzucht und Ackerbau, bis zur Zeit der Hochindustrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Touristen das Tal und die Berge eroberten. Der Aufbau von Gastronomie und Hotellerie ging damit einher, ab 1905 erschloss zudem eine elektrisch betriebene Lokalbahn, die zwischen Bludenz und Schruns verkehrte, das Montafon. Heute lebt das Tal vom Tourismus, sommers wie winters – auf jede Einwohner*in kommen etwa 100 Feriengäste jährlich. Auf diesen starken Zuwachs reagierte 2016 die Silvretta Montafon GmbH, die neben Bergbahnen, Skischulen und Hotels auch Sportgeschäfte und Restaurants in der Region betreibt: Über einen geladenen Wettbewerb suchte das Unternehmen einen realisierbaren, ortsbezogenen Entwurf für ein Ausbildungszentrum, in dem zahlreiche Berufsbilder aus der Tourismusbranche gelehrt werden können. Bis zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Räumlichkeiten des Unternehmens etwas abgelegen im benachbarten Dorf, der neue Sitz sollte Schruns als touristisches Zentrum des Tals stärken. Entsprechend einer städtebaulichen Gesamtplanung wird sich auch die Marktgemeinde verändern und klarer zoniert: Der bestehende Kirchplatz wird um den Silvrettaplatz, der zwischen Ortskern und Hochjochbahn vermittelt, und einen weiteren Platz bei der Alten Hochjochbahn ergänzt. Die städtebauliche Planung beschränkte auch die verfügbare Fläche für den Neubau des Alpinsportzentrums, das nun den südöstlichen Abschluss des Platzes bildet. 

Foto: Adolf Bereuter
Ausgewählte hochwertige Materialien

Zum benachbarten Josefsheim, ein hell verputzter, dreistöckiger Bau, und dem gegenüberliegenden Hotel Löwen mit seinen langen, dunklen Holzbalkonen, setzt sich die repräsentative Natursteinhülle des Neubaus deutlich ab. »Wir wollten ein Gebäude schaffen, dessen Körper klar mit dem Tal verbunden ist«, erläutert Architekt Joachim Ambrosig die Materialwahl. »Der Tourismus ist der größte Arbeitgeber im Tal, und das neue Ausbildungszentrum verdeutlicht diese gewichtige Stellung.« Oft ist Naturstein heute nur eine optische Hülle, hinter der sich zahlreiche Dämm- und Tragmaterialien verbergen. Doch für den Neubau wollten die Architekten bei der Materialisierung und Detailierung sehr klar bleiben. Statt einer zwischenliegenden Dämmschicht aus Mineralwolle oder Hartschaumplatten sind die Wände daher massiv aufgebaut. Der inneren Schicht aus statisch wirksamem Ziegel ist, davon unabhängig, eine Schicht aus Dämmziegeln vorgelagert. Diese Steine sind nicht gefüllt, dämmend wirken vielmehr ihre Luftkammern. Auf den winddichten Verputz und einer Drainageebene folgt schließlich die 25 Zentimeter starke, selbsttragende Bruchsteinwand aus verschiedenen Gneisen, Graniten und weiteren Steinsorten. Diese wurden entsprechend ihrer Farbigkeit bemustert: Hellgrauer Calanca Gneis und dunkelgrauer Maggia Gneis sind jeweils etwa zu einem Drittel im Mauerwerk vertreten, dazu kombinierten die Architekten braune und helle Gesteine. Alle eingesetzten Steine wurden im Umkreis von etwa 200 Kilometern gebrochen. »Wichtig war vor allem die frühe und intensive Abstimmung mit den planenden Statikern, dem ausführenden Steinmetz und der Bauherrschaft«, so der Architekt. Nicht nur die tauglichen Steinarten, sondern auch die Art der Vermörtelung, die Ableitung des Regenwassers und die Ausbildung der Sturzdetails besprach und bestimmte das Team gemeinsam. »Anhand diverser Mustermauerungen konnten wir die genaue Erscheinung des Hauses bestimmen.« 

Foto: Adolf Bereuter
Qualitäten der Bauweise nutzen

Die träge Baumasse speichert Energie gut, was den Heizaufwand verringert. Diese nachhaltige Bauweise entsprach dem Wunsch der Bauherrschaft – ein Haus aus Stein ist im Sommer kühl, im Winter warm. Zur 70 Zentimeter starken, dreischichtigen Außenwand kommt das spezielle Deckensystem hinzu: In die 8 Zentimeter dicke Fertigteildecke mit Akustikelementen aus Glasgranulat sind für Kühlung respektive Heizung Wasserleitungen eingelassen, die kaltes oder warmes Wasser führen können. Die zugleich als Schalung eingesetzten Elemente wurden auf die Wände gelegt, armiert und mit Beton vergossen. »Die Akustik war bereits im Rohbau beeindruckend«, erklärt Ambrosig. »Zusätzlich fängt ein Akustikputz den Schall ab.« Im Erdgeschoss verwenden die Architekten robusten Stein, in den oberen Geschossen eine Holzdeckungen. Die bauteilaktivierten Decken halten die Raumtemperatur konstant, bislang konnte auf eine Kühlanlage verzichtet werden. 

Gebaut wurde über zwei Jahre – zunächst die zwei Ziegelschichten bis Ende 2017, nach der Winterpause wurde mit dem Außenmauerwerk begonnen. In der Gemeinde wurde das neue Haus gut aufgenommen, und auch der örtliche Gestaltungsbeirat, der seit 2013 gemeinsam mit Bürgermeister und Bauamt bei Bauprojekten in der Kernzone des Ortes gestalterische und architektonische Fragen diskutiert, begegnete ihm von Beginn an wohlwollend.

Foto: Adolf Bereuter
Öffentliches Erdgeschoss

Aus der Ferne mag das neue Verwaltungsgebäude sehr schlicht wirken, aus der Nähe jedoch werden die Freude am Detail und die Handwerkskunst deutlich. Auf jeder der vier Seiten knickt die Fassade leicht ab, mal nach innen, mal nach außen. Aus dem vermeintlichen Würfel wird so ein unregelmäßiger Körper, dessen Außenkanten zwischen den umgebenden Gebäuden, dem Freiraum und dem Straßenverlauf vermitteln. Über dem öffentlichen Erdgeschoss mit Lobby, Infotheke und Sitzungsraum liegen vier Büroetagen mit Arbeits- und Besprechungsräumen. Treppenhaus, Aufzug und Nasszellen zonieren als aussteifende Kerne die Geschosse, dank ihnen sind die Spannweiten geringer und die Decken dünner dimensioniert. Als Bodenbelag kommt im Erdgeschoss Stein zum Einsatz; Granit und Luserner Gneis. Für eine behagliche Arbeitsatmosphäre sind die Böden der Büroetagen mit sägerauen Eichendielen belegt. Dazu passend wählten die Architekten raumhohe Eichenfenster, die aus einem festverglasten Teil und einem schmalen Lüftungsflügel bestehen. Von außen betrachtet, schafft die asymmetrische Verteilung der Fenster ein abwechslungsreiches Spiel und verleiht dem steinernen Bau eine gewisse Leichtigkeit.

Vorteile der Massivbauweise

Mit robusten, wartungsfreien Baumaterialien haben Bernardo Bader Architekten ein ökologisches Gebäude entwickelt, in dem bewusst auf Hightech verzichtet wird und ebenso bewusst die Vorteile der Massivbauweise genutzt werden. Alle Materialien sind trenn- und recyclebar – das vor allem auch dank dem Verzicht auf eine künstliche Isolierung im Wandaufbau. Die Aktivierung der Bauteile trägt dazu bei, dass weniger Energie zum Heizen und Kühlen verwendet werden muss. 

Im September 2018 bezog die Verwaltung die Alpinsportzentrale und pünktlich zum Beginn der Wintersaison im November wurde das Haus eröffnet. Noch nicht fertig, sondern bislang provisorisch gelöst sind die Außenanlagen. Der neue Silvrettaplatz, der zwischen Hotel Löwen, dem denkmalgeschützten Josefsheim und dem Neubau liegt, sowie die angrenzende Silvrettastraße werden erst nach der Erweiterung des Hotels und der Sanierung der ehemaligen Geburtsstation des Ortes endgültig gestaltet. 

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