Wenn aus Ablehnung Wertschätzung wird – die »Peichl-Torten« werden fünfzig

Manuel Pestalozzi
13. 十月 2022
Das ORF-Landesstudio Tirol befindet sich in Innsbruck zentrumsnah am Rennweg. Anfangs stieß die Anlage auf viel Ablehnung, doch heute steht sie unter Denkmalschutz. Leider sind allerdings einige architektonische Besonderheiten verschwunden. (Foto © ORF)

Am 1. Oktober 1924 ging die Wiener Radio Verkehrs AG (RAVAG) das erste Mal auf Sendung. Damit war in Österreich die Zeit des Rundfunks angebrochen. Nachdem 1933 auch ein Sender in Dornbirn in Betrieb genommen worden war, konnte man im ganzen Land Radio hören. Doch ein spezifisches Angebot für die einzelnen Regionen gab es damals noch nicht. Das Programm war für das ganze Land ausgelegt, ohne Differenzierung. Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg: Während der Besatzungszeit, als das Radio entsprechend der vier Zonen in vier Gruppen dezentral neu geordnet wurde, kam es zu einer Regionalisierung des Angebots. Diese trug wesentlich zur Entwicklung eines neuen nationalen Selbstverständnisses bei.

Die Österreichische Rundfunk Gesellschaft konstituierte sich am 11. Dezember 1957. Die generelle Hoheit hatte die Bundesregierung. Doch auch die Landesregierungen waren eingebunden. Die Macht über das Medium lag also bei der Politik. Dies änderte sich für den Österreichischen Rundfunk (ORF) 1967 mit einem neuen Rundfunkgesetz. Der ORF erlangte volle politische Unabhängigkeit. Nicht mehr die Bundesregierung, sondern ein Generalintendant leitete ihn. Die Landesstudios wurden durch das Gesetz rechtlich institutionalisiert.

Zentralistische Regionalisierung

Dieser wichtige Schritt wurde in architektonischer Hinsicht kurioserweise unter dem ersten ORF-Generalintendanten Gerd Bacher »zentralistisch« abgehandelt: Der bekannte Wiener Architekt Gustav Peichl durfte sechs Landesstudios gestalten, die zwischen 1969 und 1997 gebaut wurden. Sie sind alle nach dem gleichen architektonischen Prinzip gestaltet und geben dem ORF somit eine landesweite Corporate Identity. Die Räume sind dabei jeweils um eine Zentrale in Form von Kreissegmenten angeordnet, weshalb auch der Spitzname »Peichl-Torte« entstanden ist. Peichl fasste die Anlagen als technische Zweckbauten auf. Als Archetyp seines Konzepts gilt die 1963 in Paris eröffnete Maison de Radio France, entworfen von Henry Bernard (1912–1994).

Geliebte Spottobjekte

Die Innsbrucker »Peichl-Torte« wurde am 13. Oktober 1972 eröffnet, also vor genau fünfzig Jahren. Kurze Zeit zuvor, genauer am 21. Juli 1972, war in Salzburg der erste Landesstudio-Bau in Betrieb genommen worden. Die Tiroler »Torte« war anfangs mit einer silbergrau glänzenden Metallfassade verkleidet. Ähnlich wie beim berühmten Centre Pompidou in Paris waren die Haustechnik-Installationen teils von außen, aber auch von innen frei sichtbar. Im Gebäude erinnerten schlauchartige Gänge so an ein Raumschiff. Mittlerweile sind diese architektonischen Besonderheiten leider weitgehend verschwunden. Denn zunächst wurden sie als sonderlich wahrgenommen und von vielen abgelehnt. Peichls Architektur überforderte seine Zeitgenossen mitunter. Doch sein Konzept hat sich über die Jahrzehnte bewährt. Heute steht sein Tiroler Landesstudio unter Denkmalschutz.

此类别的其他文章