Libertine Lindenberg in Frankfurt am Main

Erzähl mir (D)eine Geschichte

Thomas Geuder
3. Mai 2016
Auf sieben Etagen lädt LIBERTINE ein zum Durchreisen und Stehenbleiben, Wohnen und Arbeiten, Essen und Trinken, Feiern und Fläzen. (Bild: Dieter Schwer)

Projekt: Libertine Lindenberg (Frankfurt am Main, DE) | Architektur: Franken Architekten GmbH (Frankfurt am Main, DE) | Creative Direction: Studio Kathi Kæppel (Berlin, DE) | Bauherr: Rothenberger Anshin GmbH (Bad Homburg vor der Höhe, DE) | Hersteller: Sto SE & Co. KGaA (Stühlingen, DE), Kompetenz: Sto Verolith | weitere Projektdaten siehe unten

Frankfurt am Main, in den Schlagzeilen meist durch ominöse Bankangelegenheiten aller Art, hat viele Gesichter. Man muss nur einmal durch die vielen Stadtteile flanieren, um die verschiedenen «Kieze» (wie man in Berlin sagen würde) zu erkunden. Besonders heimelig wird es in Alt-Sachsenhausen, das gar nicht weit von der Europäischen Zentralbank auf der anderen Mainseite liegt und doch einen gewissen Kontrapunkt dazu bildet. Traditionell befanden und befinden sich hier einige bekannte Apfelweinlokale, weswegen Alt-Sachsenhausen schon immer ein beliebtes Ausgeh- und Amüsierviertel war. Die Stadt will dem Treiben freilich etwas entgegenwirken und fördert seit Jahren die Modernisierung des Stadtteils. Der Charme des Traditionellen und Kleinteiligen, in dem – wie manche sagen – freie Liebe und Rippchen mit Kraut zu einer einzigartigen Melange aus Avantgarde und Hinterweltlertum verschmelzen, bleibt dabei hoffentlich auch in Zukunft erhalten.

Vögel, Käfer, Schmetterlinge, Gräser und Äpfel bespielen die Oberflächen im ganzen Haus, sei es im geschmiedeten Eingangstor oder den handbestickten Einbauten der Zimmer. (Bild: Dieter Schwer)

Franken Architekten, ebenfalls aus FFM, haben sich vor Kurzem erst mit einem Umbau bzw. Neubau einer der Bausteine im Stadtgefüge Alt-Sachsenhausens, in der Rittergasse 11, einen Namen gemacht (wir berichteten: Zittrige Linienführung). Nun folgt ihr zweiter Streich, nur wenige Meter entfernt an der Ecke Große Rittergasse / Frankensteiner Straße (die Verlängerung der Kleinen Rittergasse). Hier befindet sich ein Altbau aus der Gründerzeit, der komplett saniert und um einen rückwärtigen Anbau ergänzt wurde. Das Haus beherbergt das Hotel «Libertine Lindenberg», das eigentlich kein Hotel sein will, sondern sich eher als eine Art Gästegemeinschaft versteht. Dem Haus liegt ein ganzes szenographisches Konzept zugrunde, das die Architekten zusammen mit einem Team um Dr. Steen Rothenberger (Bauherr) und der Designerin Kathi Kæppel entwickelt haben: Dessen Basis bildet die Biogrfie der fiktiven Persönlichkeit Libertine Lindenberg, eine couragierte Freigeistin und offenherzige Gastgeberin, die Reisenden und Gestrandeten gerne ein temporäres Zuhause bieten möchte, mietbar tages- oder auch monatsweise. Über sieben Etagen verteilen sich hier 27 Ein- bis Dreibettzimmer, ein Tonstudio, ein Turnstudio, Büroflächen, das Wohnzimmercafé sowie eine Gemeinschaftsküche mit Esszimmer und dem LEKKER Tante-Emma-Lädchen für die Gäste. Mit diesem Programm will das Haus zum Durchreisen und Stehenbleiben, Wohnen und Arbeiten, Essen und Trinken und zum Feiern und Fläzen laden. Es soll ausgiebig gekocht, gerne getrunken, bunt gelebt, wild getanzt und laut gelacht werden.

Der Bruch des Lieblichen findet in den sogenannten «Black Holes» statt, tiefdunkle Flächen, die sich konsequent über alle Elemente der Gestaltung legen. (Bild: Dieter Schwer)

All dies unterstreicht das Gestaltungsteam mit einem kontrastreichen, fast schon eklektizistischen Materialmix aus strenger, multifunktionaler Einrichtung und handgefertigten Unikaten mit Geschichte, arrangiert mit Liebe zum Detail. Haptische Materialien und Formen wie Wandtextilien, handgebrannte Leuchten und ornamentale Betonfliesen, Installationen, Brandritzungen und limitierte Kunstdrucke lassen eine Inszenierung, ja, eine ganze Story entstehen. Die pastellfarbene Verspieltheit mit Vögeln, Käfern, Schmetterlingen, Gräsern und Äpfeln soll in Gedanken an eine heimische Streuobstwiese entstanden sein. Gestalterische Langeweile also sucht man im Libertine vergebens. Und als wäre das nicht genug, wird der immer wieder durch sogenannte «Black Holes» kontrastiert, tiefdunkle Flächen also, die sich dann über alle Elemente der Gestaltung legen. Sie sollen die Schatten in Libertines Vergangenheit symbolisieren, sentimentale Geschichten und verflossene Lieben. Immer wiederkehrend begegnet dem Besucher das Ornament des «Gerippten», des typischen Apfelweinglases, in den Innenräumen an den Wänden, den Geländern oder am Boden etwa, und in den künstlerischen Arbeiten von Kathi Kæppel. Auch die Fassade nimmt dieses Thema auf, in der gleichen von Franken Architekten entwickelten Technik, wie man es bereits an der Fassade des Hauses in der Kleinen Rittergasse 11 vorfindet: Das digital erzeugte Muster wurde in Platten (Verolith, Sto) gefräst, die aus dem Leichtwerkstoff Perlit bestehen und somit nicht brennbar (A2-s1, d0 nach DIN EN 13501-1) und feuchtebeständig, frostsicher sowie druck- und stoßfest sind. Die Platten wurden schließlich auf ein Wärmedämmverbundsystem geklebt. So wird das «Wir-Gefühl», das im Libertine-Innenraum mit jedem Element geschaffen werden soll, bereits in der Fassade statt – erkennbar zumindest für eingefleischte Frankfurter.

Auch in der Fassade finden sich die «Black Holes», als Laibungen der bodentiefen, in Stahlgewände eingefassten Fenster, sowie das Ornament des «Gerippten». (Bild: Dieter Schwer)
Der gründerzeitliche Altbau wurde komplett saniert, die in Teilen abgehängte Natursteinfassade wiederhergestellt und die Sanierungsmaßnahmen vergangener Jahre rückgebaut. (Bild: Dieter Schwer)
Im Dachgeschoss befindet sich eine Gemeinschaftsküche, eine Vorbereitungsküche für Events, ein Esszimmer mit pittoreskem Blick über die verwinkelten Dächer von Alt-Sachsenhausen. (Bild: Dieter Schwer)
LIBERTINEs Geschichte ist als Spiel mit vermeintlichen Realitäten gedacht und soll durch seine Bewohner neue Facetten eingeschrieben bekommen. (Bild: Dieter Schwer)
Nicht zuletzt will das außergewöhnliche Projekt dazu beitragen, die Lebens- und Aufenthaltsqualität im Stadtquartier zu steigern und Alt-Sachsenhausen neuen Charme zu verleihen. (Bild: Dieter Schwer)
Der Anstieg der Einpersonenhaushalte führt zu einer zunehmenden Isolation und vermehrtem Verlangen nach Gemeinschaft, was mit diesem flexiblen und sich den aktuellen Lebenssituationen seiner Bewohner anpassenden Wohnkonzept erfüllt werden soll. (Bild: Dieter Schwer)
Das ergänzende Artwork wurde in Editionen und Einzelanfertigungen von internationalen DesignerInnen und KünstlernInnen als Reflexion auf den das Interieur und den Kontext von Alt-Sachsenhausen entwickelt. (Bild: Dieter Schwer)
Im LEKKER Tante-Emma-Lädchen, ebenfalls im Dachgeschoss, können sich die Hausbewohner kulinarisch versorgen. (Bild: Dieter Schwer)
Grundriss 5. Obergeschoss (Quelle: Franken Architekten)
Grundriss 1. Obergeschoss (Quelle: Franken Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: Franken Architekten)

Projekt
Libertine Lindenberg
Frankfurt am Main, DE

Architektur
Franken Architekten GmbH
Frankfurt am Main, DE

Team: Prof. Bernhard Franken, Frank Brammer, Sebastian Stehl, Robin Heather, Manuel Naranjo Alpresa, Natascha Baier, Verena Hornsteiner, Risa Kagami, Sahdia Kaster, Tina Strack, Isabel Strelow

Creative Direction
Studio Kathi Kæppel
Berlin, DE

Team: Prof. Kathi Kaeppel, Creative Direction, Adrian Stapf, Design Assistant

Hersteller
Sto SE & Co. KGaA
Stühlingen, DE

Kompetenz
Sto Verolith

weitere Hersteller
Türgriffe: fsb
Armaturen: Steinberg
Klappsitz Dusche, Behinderten-Waschbecken: Hewi
Waschbecken: Alape
WC, Urinal: Duravit
Drückerplatte WC: Vola
WC Fernauslösung, Stützgriff: Keuco
Schalter: Berker

Bauherr
Rothenberger Anshin GmbH
Bad Homburg vor der Höhe, DE

Objektüberwachung
Kleinundarchitekten GmbH
Frankfurt am Main, DE

Künstler/Designer
Catenia Quentin, Christine Fiebig, Christoph Feist, Dennis Rudolph, Frans Velthuizen, Gudrun Haggenmüller, Holmer Schleyerbach, Kathi Kaeppel, Levke Leiß, Lore Folk Berlin, Luc Merx, Marie Parakenings, Ontwerpduo, Pia Zölzer, Shigeki Yamamoto, Stefhany Y. Lozano, Studio Veronika Wildgruber, Ulrike Steinke, Jan Lotter

Markenstrategie, Corporate Design, Umsetzung von Digital- und Printmedien
Novamondo GmbH
Berlin, DE

Bauphysik
Ingenieurbüro für Bauphysik von Rekowski und Partner
Weinheim, DE

Brandschutz
Wagner Gebäudetechnik GmbH
Frankfurt am Main, DE

Haustechnik
INOVIS Ingenieure GmbH
Frankfurt am Main, DE

Tragwerksplanung
Imagine Structure GmbH
Frankfurt am Main, DE

BGF
2.036 m²

NGF
1.423 m²

Fertigstellung
2016

Fotografie
Dieter Schwer
Eibe Sönnecken
 


Projektvorschläge
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