MVRDV‘s Crystal Houses in Amsterdam

Glas, Bau, Steine

Thomas Geuder
21. Juni 2016
In der Amsterdamer P.C. Hooftstraat haben MVRDV einen Flagshipstore für Chanel erbaut, der kristalline Einblicke ermöglicht. (Bild: Daria Scagliola & Stijn Brakkee)

Projekt: Crystal Houses (Amsterdam, NL) | Architektur: MRVDV (Rotterdam, NL) zusammen mit Gietermans & Van Dijk (Amsterdam, NL) | Bauherr: Warenar Real Estate (Amsterdam, NL) | Hersteller: Poesia (eine Marke von Vetreria Resanese) (Resana, IT), Kompetenz: Sonderanfertigung Glassteine | Hersteller: Delo Industrie Klebstoffe (Offenbach, DE), Kompetenz: Glasstein-Kleber

Einst war die Straße P.C. Hooftstraat in Amsterdam (benannt nach dem niederländischen Dichter Pieter Corneliszoon Hooft) eine recht normale Wohnstraße wie viele außerhalb des Grachtensystems der Stadt, ganz nah beim Vondelpark. In den letzten gut 10 Jahren allerdings haben sich hier immer mehr hochpreisige Designer-Läden angesiedelt, sodass die lediglich 700 m lange Straße sich zu einer der teuerste Shopping-Meilen in den Niederlanden entwickelt hat. Hier geben sich Flagship-Stores von Marken wie Bugari, Cartier, Dior oder Gucci (um nur einige wenige zu nennen) die Hand und garantieren so einem zahlungswilligen und -kräftigen Publikum ein Shopping-Erlebnis pur. An diesem Ort nun einen weiteren Store zu bauen, bedeutet für Bauherren wie Architekten, um die Aufmerksamkeit der Kunden zu buhlen, mit möglichst unkonventionellen, auffälligen und doch stilsicheren Mitteln. Das mag einer der Gründe gewesen sein, warum Chanel (über Warenar Real Estate) die Architekten von MVRDV engagiert hat, die bekanntlich für eine stets etwas ausgefallene und dennoch weltweit viel beachtete Architektur stehen. Ihre Entwurfsaufgabe verstanden sie in einer Verbindung der traditionellen Architektur des Ortes aus vorwiegend roten Backsteinfassaden mit modernen, neuen und möglichst noch nicht dagewesenen Materialien und Techniken. «Let’s bring back what will be demolished but develop it further», war denn auch der Vorschlag, den Winy Maas seinem Kunden machte.

Das Erdgeschoss besteht komplett aus modernen Glassteinen, die wiederum traditionell verarbeitet wurden. (Bild: Daria Scagliola & Stijn Brakkee)

Glas stand als vorwiegendes Fassadenmaterial wegen seiner Transparenz von Beginn an fest. Um den lokalen Charakter aufzunehmen, entschieden sich die Architekten jedoch nicht für eine normale Glasfassade, sondern für Glasbausteine, die die Größe normaler Mauersteine besitzen. Das ermöglichte den Planern, die Außenwand im 1. Obergeschoss langsam, Stein für Stein in die geschlossene Fassade übergehen zu lassen. Entstanden ist ein Gebäude, das im Erdgeschoss – der visuell wichtigsten Zone für die Präsentation von Waren – die maximale Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil es hier transparent ist und gleichzeitig leuchtet wie ein Kristall. «Crystal House» nennen MVRDV ihre Idee denn auch, die sie sich durchaus auch an anderen Orten vorstellen können. Winy Maas dazu noch einmal: «Crystal Houses make space for a remarkable flagship store, respect the structure of the surroundings and bring a poetic innovation in glass construction. It enables global brands to combine the overwhelming desire of transparency with a couleur locale and modernity with heritage. It can thus be applied everywhere in our historic centres.»

Je nach Lichteinfall leuchtet die «Glasfassade» wie ein wertvoller Kristall in der reihe der hochpreisigen Designer-Läden. (Bild: Daria Scagliola & Stijn Brakkee)

MVRDV hat bei der Entwicklung der für den Bau mit den Glassteinen nötigen Technologie mit verschiedenen Partner zusammen gearbeitet. Entwickelt und hergestellt wurden die Steine bei der Firma Poesia in Resana bei Venedig, in Zusammenarbeit mit der TU Delft und der Ingenieurfirma ABT. Das Verkleben der Glassteine wurde mit einem Klebstoff von Delo aus Offenbach verwirklicht, der nicht wie üblicher Mörtel funktioniert, sondern transparent ist und so die hohe Durchsichtigkeit der Außenfassade maßgeblich unterstützt. Vor Ort arbeiteten bis zu 10 Experten gleichzeitig ein Jahr lang, um die Glassteine zusammenzufügen. Dabei soll es oftmals eher wie in einem Labor, als wie auf einer Baustelle zugegangen sein. Die Glasmauer, die dabei entstanden ist, ist nicht nur ein Augenschmaus, sondern kann auch enorme Kräfte aufnehmen, laut Architekten sogar mehr als Beton. Auch für die Zukunft haben die Planer vorgesorgt: Alle Glassteine können irgendwann wieder rezykliert werden, sprich: einfach wieder eingeschmolzen und zu neuen Formen verarbeitet werden. Übrigens: Den Architekten war es wichtiges Anliegen, die nicht wirklich vorhandene Wärmedämmung des Crystal House in Amsterdam mit erneuerbarer Energie auszugleichen. Die Wärme zur Klimatisierung der Räume holt es sich deswegen aus einer Tiefe von 170 m, wodurch das ganze Jahr über ein optimales Innenraumklima erzeugt werden soll.

An der Fügung der einzelnen Steine arbeitete ein ganzes Forschungsteam, da auch die Klebefugen möglichst transparent sein sollten. (Bild: Daria Scagliola & Stijn Brakkee)
Grundrisse Mezzaningeschoss und 1. Obergeschoss (Quelle: MVRDV)
Grundrisse Kellergeschoss und Erdgeschoss (Quelle: MVRDV)
Schnitte (Quelle: MVRDV)
Fassadenansichten inkl. umgebende Gebäude (Quelle: MVRDV)
Insgesamt wurden drei verschiedene Formate entwickelt: Normalformat 35 x 105 x 210, Doppelformat 65 x 210 x 210 sowie ¾ Doppelformat 65 x 157,5 x 210 mm.
Echte Handarbeit: Die Steine wurden bei der Firma Poesia in Resana (nahe bei Venedig) gegossen. (Bild: Poesia)
Ungewohnt feine Arbeit war auch auf der Baustelle geboten, wo der Kleber mit UV-Licht gehärtet wurde. (Bild: MVRDV)

Projekt
Crystal Houses
Amsterdam, NL

Architektur
MRVDV
Rotterdam, NL

Team: Winy Maas, Gijs Rikken, Mick van Gemert, (Renske v/d Stoep)

zusammen mit:
Gietermans & Van Dijk
Amsterdam, NL

Team: Wim Gietermans, Arjan Bakker, Tuğrul Avuçlu

Hersteller
Poesia (eine Marke von Vetreria Resanese)
Resana, IT

Kompetenz
Sonderanfertigung Glassteine

Weitere Hersteller
Kleber Glassteine: Delo Industrie Klebstoffe GmbH & Co. KGaA, Offenbach, DE

Bauherr
Warenar Real Estate
Amsterdam, NL

Unternehmer
Wessels Zeist
Zeist, NL

Bauunternehmer
Brouwer&Kok
Badhoevedorp, NL

ABT
Velp, NL

Forschung
Delft University of Technology
Delft, NL

Team: Frederic A. Veer, Faidra Oikonomopoulou, Telesilla Bristogianni

Städtische Ästhetik-Kommission
Charlotte ten Dijke, Ellis van den Hoek, Natasja Hogen, Patrick Koschuch, Alexander Pols, Gus Tielens, Marcel van Winsen, Pepijn Diepenveen

Verkauf
620 m²

Wohnen
220 m²

Fertigstellung
2016

Fotografie
Daria Scagliola & Stijn Brakkee
Poesia
MVRDV


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