Schulzentrum-Nord in Stuttgart

Neues Kleid für alte Struktur

Thomas Geuder
19. April 2016
Mit rund 3.600 Schülern handelt es sich beim Schulzentrum-Nord eine der größten Schulen Stuttgarts und ein für die Stadt bedeutsames Ensemble. (Bild: Markus Guhl / wulf architekten)

Projekt: Sanierung und Neustrukturierung Schulzentrum Nord (Stuttgart, DE) | Architektur: wulf architekten (Stuttgart, DE) | Bauherr: Landeshauptstadt Stuttgart, Referat Kultur, Bildung und Sport Schulverwaltungsamt, vertreten durch Technisches Referat, Hochbauamt (Stuttgart, DE) | Hersteller: div. | weitere Projektdaten siehe unten

Stuttgart ist bekanntlich eine Stadt in bisweilen reizvoller Kessellage. Weniger bekannt ist, dass Stuttgarts städtische Ausläufer am Kesselrand und darüber hinaus von einer im Vergleich zu anderen Städten recht spürbaren Topografie geprägt sind. So liegt das innerstädtische Schulzentrum-Nord in Hanglage an einer Art kleinem Tal mit Stadtbahnlinie in der Talsohle und mit Blick auf die historische Weißenhofsiedlung auf dem Kamm gegenüber. Entstanden ist es in den Jahren zwischen 1978 bis 1982, heute sind hier die Werner-Siemens-Schule und die Kaufmännische Schule beheimatet. Obwohl bereits in den auslaufenden 1970er-Jahren entwickelt, spiegelte die Gestalt des Gebäudekomplexes noch deutlich den Geist Egon Eiermanns wider, dessen gemeinsam mit Sep Ruf für die Expo 1958 in Brüssel entwickelter Pavillon mit seiner horizontal gegliederten Gebäudeform und den extrem schmalen, scheinbar tragenden Fassadenstützen noch für ein neues, weltoffenes und auch bescheidenes Deutschland stehen sollte. Auch der weltbekannte IBM-Campus von Egon Eiermann in Stuttgart-Vaihingen (1967–1972) mit einer ähnlichen Architektursprache ist nicht weit. An dem Schulzentrum-Nord wurde seit seiner Entstehung nichts verändert oder modernisiert, und so beschloss die Landeshauptstadt im Jahr 2007 eine umfassende Neustrukturierung und energetische Sanierung des gesamten Gebäudekomplexes mit beiden Schulen zu einem baulich wie strukturell modernen Schulzentrum für die rund 3.600 Schüler.

Im Inneren bildet die zweigeschossige Aula mit ihrer Treppenanlage und den umgestalteten Sitzstufen das Herz der gesamten Schulanlage. (Bild: Markus Guhl / wulf architekten)

Mit der Baumaßnahme beauftragt wurden die ebenfalls in Stuttgart ansässigen wulf architekten, die den 2010 gestarteten Umbau quasi während des laufenden Schulbetriebs bewerkstelligen mussten, da kein Ausweichgebäude in ausreichender Größe gefunden werden konnte. Dem Innenraum wurde dabei eine neue Offenheit, Helligkeit und auch Leichtigkeit gegeben, die überall im Gebäude spürbar ist. Das Herz der gesamten Schulanlage bildet die zweigeschossige Aula, in der neue Oberlichter für viel natürliches Licht sorgen und deren großzügige, mit blauem Teppichboden belegte Treppenanlage einen Ort zum Treffen und Verweilen schafft. Die durchgängig lichtblaue Gestaltung der Bodenflächen soll den Eindruck eines großzügigen, horizontal angelegten Raumgefüges noch verstärken, lediglich der Mensa- und Cafeteria-Bereich sind durch eine farblich kräftigere Gestaltung charakterisiert. Einen lebendigen Kontrast zur Klarheit und Rechtwinkligkeit der Architektur will die eher runde Typografie des Leitsystems stellen. So geht es den Architekten darum, die Atmosphäre der Innenräume vor allem durch gezielt eingesetzte Farben, das Tageslicht und die grafischen Akzente des Leitsystems zu prägen, weniger durch die Materialität.

Die Kubatur des vorhandenen Gebäudes wurde nur unwesentlich verändert, auch die Erschließungen konnten weitestgehend beibehalten werden. (Bild: Markus Guhl / wulf architekten)

Die äußere Kubatur des vorhandenen Gebäudekomplexes wurde von wulf architekten nur unwesentlich verändert, um dessen Charakteristik der horizontalen Gliederung und bauzeit-typischen Plattentektur – die durchaus als architektonische Reaktion auf die Landschaftsebenen vor Ort zu sehen ist – herauszuarbeiten und schließlich zeitgemäß zu interpretieren. So war eine der wichtigsten Maßnahmen das Entfernen der alten Fassade, sodass eine komplett neue und entsprechend wärmegedämmte Fassade angebracht werden konnte. Schwarze Profile betonen nun die Horizontalität im Bereich der Fensterbänder. Dazwischen leuchten großformatige Aluminiumplatten, auf die die Architekten ein vielfältiges Licht-Schatten-Spiel zaubern und gleichzeitig die Fassade von ihrer Flächigkeit partiell befreien. Das erreichen sie durch kreisrunde Prägungen, die eine leichte Erhöhung auf der Oberfläche erzeugen, sowie durch ebenfalls kreisrunde Lochungen, durch die eine zweite, dahinter liegende, grüne Fassadenebene samt Tragstruktur hervorlugt. Neues Grün findet sich auch auf den nun wieder bepflanzten Dachflächen, auf denen Terrassen für neue Aufenthaltsqualitäten sorgen.

Mit der Sanierung des Schulzentrums-Nord in Stuttgart haben wulf architekten gezeigt, dass ein Gebäudebestand aus den 1970er-Jahren nicht – wie oftmals allzu gerne praktiziert – geschliffen werden muss, sondern eine derartige Tragstruktur aus Stützen und Platten mit tragenden Kernen bestens als Grundlage für eine Neustrukturierung und Sanierung dienen kann. Das bisher als eintönig und triste empfundenes Gebäude des Schulzentrums-Nord konnte so zu einem gestalterisch wie technisch zeitgemäßen Bauwerk ertüchtigt werden.

Mit der Klarheit und strengen Rechtwinkligkeit der Schule soll die gekurvte und lebendig gestaltete Typografie des Leitsystems kontrastieren. (Bild: Markus Guhl / wulf architekten)
Das Schulzentrum-Nord in Stuttgart mit Werner-Siemens-Schule und Kaufmännischer Schule befindet sich in einer in den Hang integrierten Lage unterhalb der Weissenhofsiedlung. (Bild: Markus Guhl / wulf architekten)
Lageplan (Quelle: wulf architekten)
Grundriss 1. Obergeschoss (Quelle: wulf architekten)
Schnitt (Quelle: wulf architekten)
Details Fassadenanschluss (Quelle: wulf architekten)
Bild vom Bau: Die gelochten und geprägten Aluminiumplatten sind mit offen gelassenem Abstand zur Tragstruktur angebracht. (Bild: wulf architekten)
Durch die zurückgesetzten Fensterbänder mit schwarzen Profilen und die Aluminiumplatten wird nun die Schichtung der Geschossebenen und die Horizntalität der Fassaden noch betont. (Bild: Markus Guhl / wulf architekten)
Den Architekten ging es um ein Herausarbeiten und zeitgemäßes Interpretieren der ursprünglichen architektonischen Absicht der für die Entstehungszeit typischen Plattentektur. (Bild: Markus Guhl / wulf architekten)
Die Gesamtwirkung des Gebäudekomplexes wurde früher von allen Seiten als triste empfunden, außerdem war die vorhandene Grundrissstruktur nicht mehr für zeitgemäße Lern- und Ausbildungskonzepte geeignet. (Bild: Steffen Vogt / wulf architekten)

Projekt
Sanierung und Neustrukturierung Schulzentrum Nord
Stuttgart, DE

Architektur
wulf architekten
Prof. Tobias Wulf, Kai Bierich, Alexander Vohl
Stuttgart, DE

Team
Ingmar Menzer (Projektleitung), Harald Baumann, Alexander Bender, Daniela Dangelmaier, Markus Guhl, Kristina Herberg, Jan Klein, Larissa Schuster

Hersteller
Leuchten: Nimbus
Beschichtungen/Farben innen: Caparol
Fassade: Wicona
Brandschutzgläser: Piklington
Teppiche Aula: Object Carpet
Oberlichter: Lamilux
Kautschukböden: Artigo
Linoleumböden: Forbo
Rasterdecken: Durlum, Lindner (3.BA)
Brandschutztüren, Fassade Brandschutz: Schüco Jansen

Bauherr
Landeshauptstadt Stuttgart
Referat Kultur, Bildung und Sport
Schulverwaltungsamt
vertreten durch Technisches Referat, Hochbauamt
Stuttgart, DE

Örtliche Bauleitung
Guggenberger + Ott Architekten
Leinfelden-Echterdingen, DE

Tragwerksplanung
wh-p GmbH Beratende Ingenieure
Stuttgart, DE

Ablaufplanung
GUS Architekten Ingenieure
Stuttgart, DE

Bauphysik
IFB Wolfgang Sonne
Nürnberg, DE

HLS
Henne & Walter GbR
Reutlingen, DE

ELT
Köhler GmbH
Leonberg, DE

Brandschutz
TÜV Ulm
Ulm, DE

Leitsystem
L2M3 Kommunikationsdesign GmbH
Stuttgart, DE

Planungsbeginn
September 2008

BGF
32.168 m²

NGF
26.460 m²

BRI
134.160 m³

Fertigstellung
2015

Fotografie
Markus Guhl
Steffen Vogt
wulf architekten


Projektvorschläge
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