Deutscher Lichtdesign-Preis 2016

Wohlfühllicht

Thomas Geuder
17. Mai 2016
Deutscher Lichtdesign-Preis 2016, Nominierung Kategorie «Büro- und Verwaltung»: Oldendorff Carriers, Hamburg, DE, Lichtdesigner: Peter Andres Beratende Ingenieure für Lichtplanung (Bild: Maissa Fall)

Thomas Geuder: Herzlichen Glückwunsch zum Titel «Lichtdesigner des Jahres 2016», Herr Andres, den Sie nun bereits zum zweiten Mal erhalten haben.
Peter Andres: Ja, 2012 sind wir zum ersten Mal angetreten. Schon damals fanden wir an dem Preis interessant, dass sich die Jury die Projekte tatsächlich auch ansieht, statt sich nur die Bilder anzuschauen, die nicht unbedingt den wirklichen Zustand des Projekts zeigen. Dass die Jury sich diese Arbeit macht und auch mit den Beteiligten und Nutzern spricht, das hat uns gleich eingenommen. 2012 hatten wir dann auch gleich das Glück, Lichtdesigner des Jahres zu werden, und sogar die Preisverleihung fand in Hamburg statt, wo sich unser Büro befindet.

Sie sind aber Österreicher, oder?
Ja, Tiroler.

Oha, das ist natürlich noch einmal etwas anderes!
Es ist eine Art Diaspora, in der ich lebe. Ich bin Hamburger, aber natürlich auch Österreicher, meine halbe Verwandtschaft hat einen italienischen Pass und lebt in Südtirol, die andere Hälfte wohnt in Nordtirol. Wir fühlen uns also in erster Linie als Tiroler und dann als Österreicher.

Und in dritter Linie sind Sie also Hamburger.
Ja. Hamburg ist die schönste Stadt Deutschlands, finde ich, und wir fühlen uns sehr wohl dort. Meine Frau ist auch Hamburgerin – es ist also alles perfekt und ergänzt sich sehr gut.

Nominierung Kategorie «Verkehrsbauten»: Neu- und Umbau Hauptbahnhof, Salzburg, AT (Bild: Helmut Pierer)

2012 Lichtdesigner des Jahres, 2016 erneut – dazwischen liegen vier Jahre, in denen in der Lichtbranche viel passiert. Wie haben sich in dieser Zeit Ihre Arbeit und Ihre Herangehensweise an das Thema Licht verändert?
Zunächst einmal hat sich die Zusammensetzung in unserem Büro verändert. Ich habe sechs Partner, vier davon sind Frauen, die eine wichtige Rolle spielen. Denn als wir vor 30 Jahren anfingen, waren wir noch ein typisches, männerdominiertes Ingenieurbüro. Inzwischen aber finden sich bei uns Innenarchitekten, Architekten, Designer, Master of Architectural Design und Master of Light and Lighting Design. Ich bin nunmehr der einzige gelernte Elektroingenieur bei uns. Heute noch mehr als vor vier Jahren ist es notwendig, alle Bereiche zu verbinden, denn unsere Arbeit ist sehr breit gefächert geworden. Denken Sie etwa daran, dass man vor nicht allzu langer Zeit diesen speziellen Rezeptor im Auge gefunden hat, Stichwort biologische Wirksamkeit, Human Centric Lighting. Solche Themen haben wir vor vielen Jahren schon erahnt, als wir zum Beispiel im Flughafen Hamburg im Jahr 1989 Konzepte realisiert haben, bei denen tagsüber das Tageslicht durch weißes Licht mit höherer Plastizität ergänzt wird, in den dann Abendstunden schaltet es automatisch auf ein warmes Licht um. Das haben wir damals mit Halogen-Metalldampf-Lampen verwirklicht, die zünden müssen usw. Heute lassen sich die Übergänge natürlich wunderbar weich mit LEDs erledigen.

Damals ging mit solchen Lampen eben nur «an» oder «aus».
Richtig, dennoch haben wir dort mittlerweile über 180.000 Betriebsstunden, und jeden Tag wird die Beleuchtung zweimal umgeschaltet. Wenn wir tagsüber eine Atmosphäre erzeugen möchten, in der man sich wohlfühlt, ebenso in den Abendstunden, dann muss man mit dem Licht eben entsprechend reagieren, damit man sich in unterschiedlichen Bedingungen immer gleich wohl fühlt. Heute begründet man dieses Wissen sozusagen im Nachhinein mit den Rezeptoren. Insofern waren wir auf diese Entwicklung ganz gut vorbereitet. Damals haben wir noch von der «Erwartungshaltung Tag und Nacht» gesprochen, heute wird das «Human Centric Lighting» genannt. Durch die LED-Technik hat sich in dieser Hinsicht in den letzten Jahren also sehr viel getan.

Nominierung Kategorie «Verkehrsbauten»: Neu- und Umbau Hauptbahnhof, Salzburg, AT (Bild: Helmut Pierer)

Das heißt aber auch, dass das Thema «Tageslicht» sehr wichtig in Ihrer Arbeit ist.
Das Tageslicht steht immer am Beginn jedes Projekts. Bei den Diskussionen, die dann folgen, geht es sehr oft darum, wie abgekapselt die zertifizierten Häuser heute sind. Denn in keiner diese Zertifikat-Bewertungen wird berücksichtigt, wie viel künstliches Licht man im Innenraum einsetzen muss, weil – durch eine Drei- oder Vierscheibenverglasung – weniger Tageslicht hinein fällt. Denn in einem Gebäude, das durch die Mehrfachverglasung quasi komplett versiegelt ist, muss den ganzen Tag über Kunstlicht brennen, will man sich an Human Centric Lighting orientieren, d. h. tagsüber während mindestens drei Stunden mindestens 1000 lux. Daraus folgt ein irrsinniger Energiemehraufwand. Dieses Thema treibt uns fast schon in den Wahnsinn! Zwischen Bauphysiker, Architekt und Nutzer fühlen wir uns dann als Vermittler, der auf alle Parameter eingehen kann, immer indem wir den Menschen in den Mittelpunkt stellen, von innen nach außen gedacht also. Wir untersuchen also die Gläser, und wir arbeiten daran, wie wir im Innenraum die Tageslichtqualität erhöhen können, damit man dann weniger Leuchten einsetzen muss, was nicht zuletzt auch die Investitionskosten minimiert. Die Rahmenbedingungen dafür aber haben sich in den letzten Jahren enorm verschärft, Dreifachverglasung gilt bei Wohnhäusern ja schon zum Standard. Die Arbeit des Lichtplaners bleibt also spannend.

Sie blicken also auch auf das Gesamtsystem, und Sie arbeiten vermutlich relativ intensiv mit dem Architekten zusammen. Ab wann beginnt die Zusammenarbeit?
Bei der Propsteikirche zum Beispiel kamen die Architekten mit einem Styropor-Modell in der Wettbewerbsphase zu uns. Es ging um die Frage, ob der Raum schon allein durch das über der Altarwand befindliche Oberlicht genügend beleuchtet werden kann. In dieser ersten Phase haben wir schon mit diesem Oberlichter gearbeitet. In der Planungsphase haben wir das Oberlicht sowie den Schacht darüber über das Modell noch optimiert, mit einem sehr schönen Ergebnis, wie ich finde. Für uns ist es also ein Traum, wenn der Architekt in der Phase, in der er beginnt, seine Idee räumlich zu denken, bereits mit uns zusammen arbeitet, weil wir schon mit dem Tageslicht beginnen können. Mit dem Architekten zusammen können wir dann die nötigen Öffnungen planen und so das Tageslicht optimal hinein holen, auch unter Berücksichtigung des Bezugs zum Außenraum. Auf das Tageslicht sind wir Menschen eben geeicht, deswegen muss es immer der Maßstab sein.

Nominierung Kategorie «Kulturbauen»: Propsteikirche St. Trititatis, Leipzig, DE (Bild: Stefan Müller)

Auch auf der letzten Messe Light+Building war «Human Centric Lighting» eines der Kernthemen. Wird das von Ihren Kunden auch gezielt erfragt?
Von den Kunden nicht so sehr, manche sind sogar überrascht, dass etwa eine Arbeitsplatzleuchte nicht ausreicht, weil sich – wie wir heute wissen – die wichtigen Rezeptoren im unteren Bereich der Augen befinden und wir deswegen die Leuchtdichte oben an der Decke benötigen. Das ist genauer betrachtet auch logisch, denn in der Natur war immer der Himmel heller als der Boden. Das berücksichtigen wir, indem wir oben helle Flächen anordnen, die die erforderliche Leuchtdichte auf eine ruhige Art ins Auge transportieren. Wir versuchen das zunächst so gut wie möglich über das Tageslicht zu konzipieren, danach beginnen wir mit dem Kunstlicht. Immer in dieser Reihenfolge.

Man könnte Sie also fast einen «ergänzenden Tageslichtplaner» nennen, oder?
In gewisser Weise ja. Wir gehen heutzutage eben nicht mehr mit dem Sonnenuntergang schlafen und stehen bei Sonnenaufgang auf, und so ist es eben wichtig, auch in den anderen Zeiten ein angemessenes Licht zu erzeugen. Das ist auch ein wichtiges Thema bei Arbeitsplätzen für Nachtarbeiter.

Wir haben auf der Bühne heute einen schönen Satz gehört: Dem Licht eine Selbstverständlichkeit geben. Das würden Sie so sicherlich unterschreiben, oder?
Das stimmt. Wir sind keine Lichtkünstler, uns geht es darum, dass sich die Menschen wohlfühlen. Wenn jemand aus einem Gebäude kommt und sich fragt, welche Leuchten da wohl verbaut waren, dann ist das für uns allermeistens ein Kompliment. Weil das Licht einfach da sein soll und der Mensch sich mit anderen Dingen beschäftigen soll, zum Beispiel einen richtigen Arbeitsplatz zu haben, den Raum ablesen und begreifen zu können, sich wohlfühlen zu können, usw. Bei alldem ist die Lichtquelle als Lichterzeuger in dem meisten Fällen verzichtbar.

Nominierung Kategorie «Außenbeleuchtung/Anstrahlung»: Europäisches Hansemuseum, Lübeck, DE (Bild: Werner Huthmacher)

In Ihrem Büro arbeiten Sie auch mit einem Lichthimmel. Wie darf man sich diese Apparatur vorstellen?
Unser Lichthimmel ist eine Kuppel mit einem Durchmessen von 4,5 m, in dem sich eine steuerbare Sonne befindet, mit wir jede Sonnenlaufbahn zu jeder Zeit an jedem Punkt der Erde nachstellen können. Wir können quasi in die Modelle hinein gehen und das Licht testen, wie es durch die Verglasungen hinein fällt, abhängig auch vom Material. Heutzutage lässt sich zwar vieles rendern und visualisieren, man kann tolle Bilder erzeugen, aber bei diesen Bildern wird immer nur das Großhirn provoziert, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie es am Ende wohl in Wirklichkeit sein wird. Wenn ich aber den Kopf in ein Modell stecke und drinnen die Augen bewegen kann, dann nehme ich den Raum ganz anders und unmittelbar wahr. Wir arbeiten im Prinzip mit Originalen, auch mit originalem Glas, und beobachten die Veränderung, wie sie genauso auch in der Natur stattfindet, mit den verschiedenen Lichtszenarien. Was sich dadurch erzeugen lässt, wird auch in 100 Jahren nicht am Rechner lösbar sein, sondern muss in Realität angeschaut werden. Bei der Lösung dann wird der Rechner dann natürlich wieder eingesetzt. Zu Beginn einer Planung aber ist der künstliche Himmel für uns unverzichtbar. Wir hatten auch schon 2,20 m x 1,40 m x 90 cm große Modelle, bei denen wir rund 2,4 km Lichtfaserkabel verlegt haben.

Bei solchen Modellen sind dann auch die richtigen Materialien besonders wichtig, oder?
Ganz genau. Wir haben Materialproben vorliegen, die wir dann ins Modell hinein schieben. Uns geht es darum, das richtige Licht auf dem richtigen Material zu generieren, um einen unmittelbaren Eindruck zu erreichen. Die Bauherren können das Licht und die Raumwirkung sehen, schon bevor das Haus gebaut ist. Mit diesen Modellen und dem künstlichen Himmel gelingt ein Eindruck, der sich im Prinzip direkt in die Realitiät übertragen lässt.

Vielen Dank den persönlichen Einblick in Ihre Arbeit, Herr Andres.

Preisträger Kategorie «Private Projekte»: Stadtvilla Hamburg, DE (Bild: Klaus Frahm / arturimages)
Modellbild aus dem künstlichen Himmel: Neu- und Umbau Hauptbahnhof, Salzburg (Bild: Anja Andres)
Modellbild aus dem künstlichen Himmel: Propsteikirche St. Trititatis, Leipzig (Bild: Anja Andres)
Peter Andres (2.v.l.) war mit einigen seiner Partner und Mitarbeiter nach München zur Preisverleihung gereist, denen der Preis «Lichtdesigner des Jahres 2016» natürlich auch gilt. (Bild: Bettina Theisinger / LDP)
Gruppenbild aller Gewinner des Deutschen Lichtdesign-Preises 2016 (Bild: Bettina Theisinger / LDP)

Preisträger Kategorie «Lichtdesigner des Jahres»
Peter Andres Beratende Ingenieure für Lichtplanung
Hamburg, DE und Wildschönau, AT

Preisträger Kategorie «Private Projekte»
Projekt: Stadtvilla Hamburg, DE
Architekt/Innenarchitekt: Lars Wittorf Architekt BDA, Hamburg, DE
Bauherr: privat
Fotografie: Klaus Frahm / arturimages

Nominierung Kategorie «Büro- und Verwaltung»
Projekt: Oldendorff Carriers, Hamburg, DE
Architekt/Innenarchitekt: LA'KET ARCHITEKTEN GmbH, Hamburg, DE
Bauherr: Oldendorff Carriers GmbH & Co. KG, Lübeck, DE
Fotografie: Maissa Fall

Nominierung Kategorie «Kulturbauen»
Projekt: Propsteikirche St. Trititatis, Leipzig, DE
Architekt/Innenarchitekt: schulz & schulz architekten gmbh, Leipzig, DE
Bauherr: Propsteipfarrei St. Trinitatis, Leipzig, DE
Fotografie: Stefan Müller, Anja Andres
Praxis-Bericht: Erdverbunden

Nominierung Kategorie «Außenbeleuchtung/Anstrahlung»
Projekt: Europäisches Hansemuseum, Lübeck, DE
Architekt/Innenarchitekt: Studio Andreas Heller GmbH, Hamburg, DE
Bauherr: Europäisches Hansemuseum, Lübeck, DE
Fotografie: Werner Huthmacher
Bau der Woche: Neue Zeitschicht

Nominierung Kategorie «Verkehrsbauten»
Projekt: Neu- und Umbau Hauptbahnhof, Salzburg, AT
Architekt/Innenarchitekt: kadawittfeldarchitektur gmbh, Aachen, DE
Bauherr: ÖBB Infrastruktur AG, Salzburg, AT
Fotografie: Helmut Pierer, Anja Andres

Alle Preisträger und Nominierungen des Deutschen Lichtdesign-Preises unter: www.lichtdesign-preis.de


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