Was die alten Römer schon wussten

Autor:
Thomas Geuder | Praxis
Veröffentlicht am
Nov. 7, 2012

Energiewende hin oder her: Die Vor- und Nachteile von Wärme­dämm­verbund­systemen werden derzeit heiß diskutiert. Die sinnvolle Lösung des Konflikts aber wird am Ende wahrscheinlich irgendwo in der Mitte beider Positionen liegen, wie der Architekt Stefan Forster und die Ziegelei Hebrok Natrup-Hagen in Mannheim zeigen.
Das Wohn- und Geschäftshaus R7 in Mannheim ist mit einer feinsinnig gegliederten Klinker-Fassade versehen, durch die der städtische Blockrand akzentuiert wird. (Foto: Lisa Farkas) 
Es ist eigentlich ganz einfach: Um die viel beschworene Nach­haltig­keit (womit im Bauwesen meist das Sparen von Energie durch Lang­lebig­keit gemeint ist) eines Produkts sinnvoll bewerten zu können, darf nicht nur dessen Energieverbrauch bei Betrieb, sondern müssen auch die Herstellung sowie die Entsorgung in die Betrachtung einbezogen werden. Jüngstes Beispiel etwa war die Energie­spar­lampe, die zwar wenig Strom zur Lichterzeugung benötigt, wegen ihrer elektronischen Bauteile aber bei der Herstellung wie der Entsorgung wieder viel Energie verschlingt. Eine ähnliche Diskussion wird seit einiger Zeit auch beim Thema Gebäude­hülle geführt. Denn die Dämmstoffe, mit denen heutzutage Mauern und Wände ummantelt werden, können gut und gerne schon einmal eine Dicke von 30 cm annehmen. Der Laie fragt sich da berechtigter­weise: Kann ich überhaupt jemals so viel Energie sparen, um diesen Energie-Aufwand wieder auszugleichen?

Hersteller entsprechender Systeme sind sich da natürlich einig: Ja, man kann! Wärmedämmverbundsysteme seien ebenso langlebig wie andere Baustoffe, nur äußerst selten träten Probleme mit Algen oder gar Schimmel auf. Die andere Seite hält dagegen, dass die WDVS vor allem im Vergleich mit anderen Baustoffen keine lange Lebens­erwartung habe. Und gerade wegen der Gefahr von Schimmel­bildung könne man genauso gut auch auf eine Wärme­däm­mung verzichten. Denn: In einer Wand, die immer ein bisschen warm ist, könne sich schließlich kein unerwünschtes Wasser sammeln. Die Wahrheit wird wahrscheinlich (wie so oft) irgendwo in der Mitte zwischen beiden Positionen liegen.
Bei den von Architekt Stefan Forster ausgewählten Mauersteinen handelt es sich um „Original Wasserstrich Backstein Klinker“, die neben unterschiedlichen Farbnuancen eine witterungsbeständige Oberfläche besitzen. (Foto: Jutta Kennepohl) 
An diesem Punkt lohnt sich wieder einmal der Blick auf alther­ge­brachtes Wissen: Gebrannte Steine wie Ziegel oder Backstein gibt es schon seit Jahrtausenden. Zwar wurde das Bauen mit gebrannten Ziegeln erst durch die Römer im gesamten Römischen Reich verbreitet, doch die ältesten Ziegelfunde sind ca. 7.500 Jahre alt. Ziegel ist also ein sehr langlebiger Baustoff. „Moderne“ Ziegel sind sogar noch haltbarer, da sie aufgrund eines höheren Silikatgehalts im Ausgangsmaterial mit Temperaturen bis zu 1.200 °C gebrannt werden können. Das macht sie witterungs­be­stän­diger, wodurch sie mühelos unverputzt verwendet werden können. Trotz dieser Vorteile sieht man in Süddeutschland oder in der Schweiz derartige Klinkerfassaden nur selten, was an den Rohstoffvorkommen liegen mag. Ziegelmauerwerke finden sich eher in Regionen wie beispielsweise in Norddeutschland. Umso mehr freut sich da der Ästhet, wenn in einer Stadt wie Mannheim (also im Südwesten von Deutschland) ein Gebäude mit einer Klinker-Fassade entstanden ist: Das Wohn- und Geschäftshaus des Baugenossenschaft Spar- und Bauvereins 1895 Mannheim im Stadtteil-Quadrat R7, entworfen von dem Frankfurter Architekten Stefan Forster.
Mannheims Innenstadt ist in Quadrate aufgeteilt, auf denen eine Blockrandbebauung vorgesehen ist. (Foto: Lisa Farkas) 
Die Fassade des Haues besticht vor allem durch seine Vielfalt, die die in der Mannheimer Innenstadt vorherrschende Blockrandbebauung an der Fassade feinsinnig auflöst: Im urbanen Sockel, in dem die Geschäftsräume untergebracht sind, wurden alle sieben Steinreihen zweireihige Zurücksetzungen eingefügt. Die Klinker in den oberen Geschossen wurden im Bereich der Fensterbänder im Rillenverband verlegt, das heißt jeder zweite Läuferstein ist um 2,5 cm zurück­ver­setzt beziehungsweise hier wechseln die Formate der Klinker von 11,5 auf 9 cm. Die Horizontalität wird zusätzlich mit durchlaufenden Simsen und einer oberen Grenadierschicht unterstrichen. Durch diese Verlegung der Mauersteine entstehen vielfältige Schatten­fugen, die dem Gebäude je nach Lichteinfall eine drei­dimensio­nale Struktur geben. Akzentuiert wird die Vielfalt auch durch die Klinker selbst, die im Wasserstrich-Verfahren hergestellt wurden. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem die Tonblöcke unter fließendem Wasser aus der Form gestempelt werden. Jeder Stein erhält so eine individuelle, fast schon rustikal anmutende Oberfläche mit feinen Farbunterschieden, wodurch die Klinker-Fassade erst so richtig lebhaft wird. Das gesamte Gebäude ist in KfW Effizienzhaus 40 ausgeführt, wozu auch die nahezu wartungsfreie und langlebige Fassade ihren Teil beiträgt. Die zweischalige, hinterlüftete Fassade besitzt in ihrem Inneren eine Dämm­schicht von 16 cm. Derartige Mauern sind vielleicht teurer, haben aber den klaren Vorteil, dass die Wetter- und die Dämmschicht durch einen Luftraum von­ein­an­der getrennt sind. Der Praktiker wird hierbei schnell bemerken, dass diese Trennung der Funktions­schichten große Vorteile hat – ein seriöser, wissen­schaft­licher und unabhängiger Vergleich beider Systeme aber lässt allerdings noch auf sich warten.  tg
In der hinteren Hoffassade, die Richtung Lameygarten blickt, wird die Klinker-Fassade durch normale Putzfassaden durchbrochen. (Foto: Lisa Farkas) 
Hier schön zu sehen: Die zurückgesetzten Steinreihen ergeben auf der gesamten Fassade ein Schattenmuster, das die Fassade gliedert und je nach Lichteinfall ihr Aussehen verändert. (Foto: Jutta Kennepohl) 
Die Horizontele, die vorherrschendes Gestaltungsthema der Fassade ist, findet sich auch in sämtlichen Gittern und Türen wieder. (Foto: Lisa Farkas) 
Detail Fensterband 
Regelgeschoss 
Grundriss Erdgeschoss 
Schwarzplan der Innenstadt von Mannheim (mit gekennzeichnetem Neubau) 
Ziegelei Hebrok Natrup-Hagen
Natrup-Hagen, D

Projekt
Wohn- und Geschäftshaus R7
Mannheim, SGP

Hersteller-Kompetenz
Original Wasserstrich Backstein Klinker

Architektur
Stefan Forster Architekten
Frankfurt/Main, D

Statik
Kannemacher + Dr. Sturm
Frankfurt/Main, D

Bauherr
Baugenossenschaft Spar- und Bauverein 1895 Mannheim eG
Mannheim, D

Fertigstellung
2011

Fotonachweis
Lisa Farkas
Jutta Kennepohl


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