Zum Tod von Peter Kulka: Ein streitbarer Menschenfreund
Falk Jaeger
26. Februar 2024
Peter Kulka im Sächsischen Landtag, 2019. Das Bauwerk zählt zweifelsohne zu den Schlüsselwerken des Architekten aus Dresden. (Foto: Thomas Schlorke)
Der deutsche Architekt erlebte als Jugendlicher die Zerstörung Dresdens 1945. In der DDR ausgebildet, floh er in den Westen, wo er sich bald einen Namen machte. Nach der Wiedervereinigung prägte er das Baugeschehen in seiner alten Heimat mit.
Dieser Nachruf entstand für unser deutsches Partnermagazin auf German-Architects.com.
Wie stark ihn das Trauma des Untergangs der Dresdner Innenstadt im Februar 1945 geprägt hat, wird Peter Kulka erst später bewusst. Als Siebenjähriger erlebt er die Katastrophe, lernt in und mit den Trümmern zu leben. Als Zwölfjähriger macht er sich Gedanken, wie man aus den Rudimenten Neues schaffen könnte. Die Rekonstruktion des Vergangenen war schon damals für ihn keine Option. Und er sollte noch Gelegenheit bekommen, seinen Part zu übernehmen.
Zunächst verließ er Dresden, um Bauingenieurwesen zu studieren, in Görlitz, dann in Gotha, um schließlich 1964 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ein Architekturstudium abzuschließen. Es war die Zeit, als der Bauhaus-Absolvent Selman Selmanagić die Schule leitete. Und von ihm blieb Kulka nicht unbeeindruckt.
Erste Büroerfahrungen machte er anschließend an der Berliner Bauakademie bei Hermann Henselmann. Der Charismatiker konnte ihn jedoch nicht halten. Kulka, der sich nie gerne den Mund verbieten ließ, verabschiedete sich nach Jahresfrist aus der DDR und wechselte in dramatischer Flucht in den Westteil der Stadt, wo er ausgerechnet bei Henselmanns westlichem Gegenspieler Hans Scharoun für drei Jahre Arbeit fand.
Universität Bielefeld, 1971–1976 (Fotograf*in unbekannt, zur Verfügung gestellt von Peter Kulka Architektur)
Maternushaus Köln, 1978–1983 (Foto: Peter Kulka)
1970 trat Kulka in eine Bielefelder Büropartnerschaft mit den Kollegen Herzog, Köpke, Siepmann und Töpper ein. Ihr zwischen 1971 und 1976 realisierter Entwurf für die Universität Bielefeld war ein vielbeachteter typologischer Ansatz mit dem Versuch, das Mall-Prinzip im Hochschulbau einzusetzen. Wie die Warenhäuser an den beiden Enden einer Mall liegen dabei Audimax und Mensa am einen, das Schwimmbad am anderen Ende der lang gestreckten Halle. Die von Galerien begleitete, überglaste Passage ist Erschließungsraum für die kammartig angeschlossenen Instituts- und Bibliothekstrakte sowie Kommunikationszentrum mit Läden und Restaurationsangeboten.
Peter Kulka ließ sich in Köln nieder und entwarf mit Hans Schilling Bauten für die katholische Kirche. Das Maternushaus, ein Tagungszentrum des Erzbistums Köln, ist ein Ensemble aus Einzelbauten – einem Saal, einer Kapelle, der Verwaltung und einem Hotel mit charakteristischer Ziegelfassade – gleich einer Stadt in der Stadt. Es wurde zwischen 1978 und 1983 errichtet.
In Köln gründete Peter Kulka auch 1979 sein erstes eigenes Büro. Weiterhin war er für die Kirche tätig, baute zum Beispiel für die Abtei Königsmünster in Meschede die Jugendbegegnungsstätte »Oase« und später, im Jahr 2001, das »Haus der Stille«, ein Gästehaus mit klösterlichem Klausurcharakter. War seine Arbeit anfangs nicht frei von postmodernen Anklängen, so vermied er hinfort alles Pittoreske und ging zu einem strengen Rationalismus zurück. Gerade das in Fachkreisen geschätzte Haus der Stille, das in seiner kargen Betonästhetik an das Werk des japanischen Architekten Tadao Ando erinnert, ist ein konsequenter Schritt in dieser Entwicklung. Hinzu kamen von Stahl und Glas dominierte Büro- und Gewerbebauten, etwa für Siemens in Düsseldorf.
Kuppel des Dresdner Schlosses, 2009 (Foto: Jörg Schöner)
Deutsches Hygiene-Museum, Dresden, 2002–2004 (Foto: David Brandt)
Die deutsche Wiedervereinigung war für Kulka wie der Startschuss in einen neuen Lebensabschnitt. Er verließ die RWTH Aachen, wo er seit 1986 als Professor für Konstruktives Entwerfen gelehrt hatte, und eröffnete 1992 ein zweites Büro – natürlich in seiner Heimatstadt Dresden. Anfangs wurde viel gependelt, denn auch im Westen wurden noch Wettbewerbe gewonnen, entstanden bemerkenswerte Bauten, die in allen Fachpostillen veröffentlicht wurden. So etwa 2000 bis 2004 das »Robert-Bosch-Haus« in der Stuttgarter Heidehofstraße als Sitz der Robert-Bosch-Stiftung oder 2007 die Hauptwache der Berufsfeuerwehr Heidelberg. Doch mehr und mehr entwickelten sich die Aktivitäten des Büros in den neuen Bundesländern.
Initialzündung war dabei der Gewinn des Wettbewerbs für den neuen Plenarsaal des Sächsischen Landtags in Dresden, den er zwischen 1991 und 1997 realisieren konnte. Als eines der ersten öffentlichen Großprojekte in der ehemaligen DDR entstand der Bau unter für Architekten paradiesischen Bedingungen. Die Staatsbauämter begannen gerade, sich zu konsolidieren. Keiner wusste Bescheid, und das aus dem Westen übernommene Vorschriftenwesen war noch nicht eingeübt. Kulka hatte somit einen Wissensvorsprung und nutzte ihn, um das Vorhaben geschmeidig und zügig ins Werk zu setzen.
Der Plenarsaal an der Elbe war das erste Stahl-Glas-Gebäude am berühmten Elbflorenz-Uferpanorama, eine Paraphrase von Günter Behnischs »demokratisch«-transparentem Plenarsaal in Bonn. Mit dem Bau konnte sich Kulka in den neuen Bundesländern etablieren. Er bestritt dort fortan erfolgreich Wettbewerbe und nahm Einfluss auf das Baugeschehen. Insbesondere in Dresden ritt er an der Tête all jener Mitstreiter und Kollegen, denen die offizielle Baupolitik von Stadt und Denkmalpflege zu konservativ, zu rückwärtsgewandt und nostalgiebeseelt erschien, und machte sich viele Feinde. So zeigte er mit seinem eigenen Atelier- und Wohnhaus neben dem Bahnhof Mitte Flagge, indem er einen puristisch-grauen, asketischen Turm zwischen historistisch-verspielte Nachbarhäuser setzte.
Atelierhaus Weißeritzstraße, Dresden (Foto: Hans-Christian Schink)
Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig, 1994–1998 (Foto: Hans-Christian Schink)
Vom Obergeschoss aus einen guten Kilometer über die Dächer Richtung Osten ist ein Geniestreich zu sehen, den Peter Kulka 2009 fertigstellen konnte: das blasenförmige Membrandach, das zwischen den Giebeln des Residenzschlosses auftaucht. Zuvor waren alle Baukünstler daran gescheitert, das Problem der Erschließung von einem Dutzend Museen im Schlosskomplex zu lösen. Kulka durchschlug den Gordischen Knoten, indem er den kleinen Schlosshof mit einer Stahl-Membran-Kuppel überwölbte und zu einem Innenraum, zum gemeinsamen Foyer machte, von dem aus alle Museen zugänglich sind.
Zudem wurden weitere Räume nach seinen Plänen gestaltet und ausgestattet, darunter der »Riesensaal«, die legendäre »Türkische Cammer«, die »Englische Treppe«, das Schlossmuseum (für die Geschichte des Schlosses selbst) und das Restaurant. Peter Kulka stellte sicher, dass das 21. Jahrhundert wie selbstverständlich am Residenzschloss weiterbaute, wie es all die Jahrhunderte davor getan hatten.
Mit Erstaunen und Kritik wurde deshalb registriert, dass Peter Kulka sich der Aufgabe annahm, das nach Krieg und DDR-Regime vollständig verschwundene Potsdamer Stadtschloss in seiner barocken Form zu rekonstruieren. SAP-Chef Hasso Plattner und Moderator Günther Jauch hatten handstreichartig Fakten geschaffen und das Torgebäude selbst finanziert errichten lassen. Das Land Brandenburg musste »nur noch« den Rest wiederaufbauen. Kulka fügte sich, füllte aber die barocke Hülle mit einem modernen Landtag, und zwar auf eine überzeugende, qualitätsvolle Weise, die das Berliner Schloss mit seinem dürftigen, charakterlosen Innenleben in den Schatten stellt.
Sächsischer Landtag, Dresden, 1991–1997 (Foto: Jörg Schöner)
Landtag Brandenburg, Potsdam (Foto: Hans-Christian Schink)
Die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig (1994–1998) und der Werner-Otto-Saal im Konzerthaus Berlin (2001–2003), eine kompromisslos moderne Blackbox im Schinkel-Bau, sowie die Erweiterung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden (2002–2004) waren weitere Kulturbauten in den neuen Bundesländern, meist also Um- und Anbauten. »Unsere Städte und unsere Häuser sollten offen für den Umbau sein, umweltschonend, recycelbar, eher veränderbar als dauerhaft«, äußerte er in einer weitsichtigen Rede 1995 – ein Vierteljahrhundert, bevor sich der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) diese Forderungen auf die Fahne schrieb.
Bis zuletzt war Kulka auf seine engagierte Art mit dem Auftrag befasst, seinem Sächsischen Landtag eine Erweiterung hinzuzufügen. Dabei sehnte er sich nach den paradiesischen Zuständen kurz nach der Wende zurück, denn er hatte vielfach Grund, über die Widerstände gegen das Bauvorhaben zu klagen, über die schwierigen Verhältnisse, unter denen solche Projekte heute ablaufen, über die zähen politischen Entscheidungsprozesse, den Behördendschungel und das absurde Vorschriftenwesen.
Letztlich ging es wohl doch über seine Kräfte. Peter Kulka starb am Montag vergangener Woche im Alter von 86 Jahren in seiner Dresdner Wohnung. Das Landtagsprojekt indes wird nun von seiner Adoptivtochter Katrin Leers-Kulka weitergeführt.