KALO! – von der Villa zum Erkundungsraum für Kinder
ASAP – Hoog Pitro Sammer
16. 十二月 2022
Foto: Tschinkersten
Florian Sammer berichtet, wie er mit seinem Team das einstige Wohnhaus der Geschäftsleitung der Firma Waerag in Traiskirchen zu einem Ort der ganzheitlichen Förderung für Kinder umgestaltet hat.
Herr Sammer, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die Herausforderung lag zunächst in der Umgestaltung einer bestehenden Industriellenvilla, ein Haus mit Walmdach aus den späten 1950er-Jahren, zu einem vielseitigen Erkundungsraum für Kinder. Im Zentrum unseres Gestaltungskonzepts standen insbesondere der respektvolle Umgang mit dem Bestand und maßvolle Eingriffe mit größtmöglicher Wirkung. Als Resultat haben beinahe alle Gestaltungselemente mehr als nur eine Funktion. Wir hoffen, dass das Design Kinder dazu anregt beziehungsweise inspiriert, sich auszuprobieren, die eigenen Fähigkeiten zu erweitern und miteinander in Kontakt zu treten.
Foto: Tschinkersten
Foto: Tschinkersten
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Es war uns wichtig, dass die Spuren der ursprünglichen Nutzung als Wohnhaus erhalten bleiben. Wir wollten herausfinden, was passiert, wenn ein typisches Einfamilienhaus sich seiner Privatheit entledigt, öffentlich wird und sich den Kindern als Experimentierfeld zur Verfügung stellt. Die Maßstäblichkeit des Zuhauseseins wurde beibehalten. Statt der Funktionen für das Wohnen entstanden anregende Raumsequenzen für Bewegung, Forschen, Spiel, Experimente, Materialerfahrungen und Eltern-Kind-Aktivitäten. Ein Labor-Charakter breitet sich im gesamten Haus aus und macht Mut, dass hier viele Dinge ausprobiert und gemeinsam erlebt werden können. Dafür haben wir die erforderliche Infrastruktur wie eine Benutzer*innenoberfläche für Kinder in die Räume eingeschrieben.
Foto: Tschinkersten
Foto: Tschinkersten
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Die Entscheidung, das Kinder-Abenteuer-Labor in der Villa umzusetzen, hat den Entwurfsprozess sehr beeinflusst. Zum einen handelt es sich um ein Adaptive-Reuse-Projekt, bei dem Erhalt und Transformation der bestehenden Struktur einen identitätsstiftenden und ganz besonderen Ort wiederbelebten. Mit der Öffnung als Kultureinrichtung ist an einer Bruchlinie zwischen Industrie, Wohngebiet und Stadtzentrum ein wertvoller Treffpunkt für die junge Bevölkerung in der Gemeinde Traiskirchen entstanden. Zum anderen wurde mit der Nachnutzung graue Energie genutzt und an einem neuen Verhältnis für Teilhabe und zukunftsfähige Stadtentwicklung gearbeitet.
Foto: Tschinkersten
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Karin Blum, eine Gemeinderätin, initiierte diese Einrichtung für Kinder. Elementarpädagogin Nina Panozzo erstellte das pädagogische Konzept. Beide gaben mit ihren Vorstellungen Impulse für unser Gestaltungskonzept. Wir hatten das Glück, mit den beiden auf Projekt-Komplizinnen zu treffen, die uns mindestens genauso viel gefordert haben wie wir sie. Dadurch war der Entwurfsprozess lebendig und innovativ, weil alle im Team ein Labor-Haus entwickeln wollten, das es so bisher noch nicht gab.
Der Entwurfsprozess ist sehr geradlinig verlaufen und das Projekt wurde bis auf wenige Sparmaßnahmen so umgesetzt, wie es geplant war. Wie bei den meisten Bauvorhaben der letzten Zeit hat die Corona-Pandemie den Verlauf etwas aufgemischt.
Foto: Tschinkersten
Foto: Tschinkersten
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Wir lieben die Herausforderung und bezeichnen uns gerne als Allrounder mit Liebe für unterschiedliche Maßstäbe, für das Denken und Umsetzen, für Strategie und Details. Neben dem Interesse fürs Wohnen engagieren wir uns sehr für integrative Planungsprozesse und innovative Konzepte für Lern- und Arbeitswelten. Mit KALO! konnten wir das zudem mit unserer Vorliebe für Umbauprojekte verbinden.
Foto: Tschinkersten
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Für eine bessere Energiebilanz wurden die Fenster getauscht. Konstruktiv wurde die Struktur so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig angetastet. Die Raumfolgen der früheren Zimmer wurden partiell so entkernt, dass ein räumliches Gefüge des Zuhauseseins erhalten wurde. Zugleich wurde durch eine gezielte Öffnung zwischen den Geschossen der Wohnhauscharakter aufgebrochen. Somit wurde ermöglicht, sich das Haus eigenmächtig zu erklettern. Bei der Gestaltung der Materialien und Farbgebung stand eine freundliche Atmosphäre mit anregenden Farbakzenten und haptisch angenehmen Holzoberflächen im Vordergrund.
Foto: Tschinkersten
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Wir planten ein Interieur, das sich durch seine flexible Nutzbarkeit und viele aufmerksame Details auszeichnet. Charakteristisch ist die Kombination aus wenigen, qualitativ hochwertig verarbeiteten Materialien und gezielt eingesetzten Gestaltungsdetails. Die unterste Ladenreihe der Küchenzeile etwa ist ein ausziehbares Podest, damit auch ganz kleine Kinder die Arbeitsplatte erreichen können. Für sie ist auch in der Tür zum dahinterliegenden WC eine zweite, kleinere Tür eingeschnitten. Dessen Wände sind blau wie die Arbeitsplatte und die Grifflöcher von Küche und Eltern-Kind-Café. Aktivierendes Rot kam zum Beispiel im Kinder-Labor zum Einsatz.
Ein besonderes Gestaltungsdetail und zugleich ein Eyecatcher im Erdgeschoss ist eine kreisrunde Drehtür – eine runde Türscheibe aus Seekiefersperrholz, die sich wie ein Kreisel um ihre senkrechte Mittelachse dreht und Eingangsbereich und Materialtheater (ein Raum, der sowohl Materiallager als auch Mikrotheater ist) miteinander verbindet. Eine weitere Attraktion ist die Kletterwendeltreppe aus geflochtenen Seilen, die vom Kinder-Labor im Erdgeschoss auf ein Netz im Obergeschoss führt, das über einen Deckendurchbruch gespannt ist. Hier können die Kinder in den ersten Stock klettern – und dort herumhüpfen.
Insgesamt sind die gewählten Materialien bewusst reduziert, ökologisch und freundlich. Verwendet wurden Industriesperrholz aus gemaserter Kiefer und PVC-freies Linoleum. Die Details sind robust und kindertauglich, die Formen schlicht, es dominieren wenige kräftige Farben wie Orange, Rot, Blau, Natur.
Lageplan
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Obergeschoss
Schnitt A
Schnitt B
KALO! Kinder-Abenteuer-Labor
Standort
Gürtelstraße 35, 2514 Traiskirchen
Nutzung
Zum vielseitigen Erkundungsraum für Kinder umgestaltetes Einfamilienhaus
Auftragsart
Projekt-Nutzungsstudie mit Folgebeauftragung, 2020
Bauherrschaft
Stadtgemeinde Traiskirchen, durch TBVG Traiskirchner Betriebsverwaltungsgesellschaft m.b.H.
Architektur
ASAP Hoog Pitro Sammer, Wien
Projektleitung: Florian Sammer
Mitarbeit: Lisa Blenk
Fachplaner
Statik: über TBVG beauftragt
Sonstige Konsulenten: über TBVG beauftragt
Jahr der Fertigstellung
2022
Gebäudevolumen
835 m3
Maßgeblich beteiligte Unternehmer
Tischlerarbeiten: Tischlerei Karl Friedl GmbH, Traiskirchen
Malerarbeiten: Walter Pospichal, Traiskirchen
Bodenlegerarbeiten: Gaster GmbH, Traiskirchen
Fliesenlegerarbeiten: FA. Stanzl Michael, Bad Vöslau
Seile und Netze: Haanl GmbH, Wien
Metallauarbeiten: Gerhard Artwohl, Reparatur & Montageservice KG, Traiskirchen
Fotos
Tschinkersten