Eine Kultur der Reparatur

Tp3 Architekten
22. September 2023
Tp3 Architekten setzten nicht nur die Bausubstanz aus dem Jahr 1315 instand, sondern »reparierten« mit ihrem Eingriff zugleich auch das Verhältnis der Einheimischen zur Burg. Anfang der 1930er-Jahre war das geschichtsträchtige Bauwerk zunächst dem Verfall preisgegeben worden. (Foto: Nikolaus Schullerer-Seimayr, Tp3 Architekten)
Herr Henter, Herr Rabengruber, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Andreas Henter: Ein Bau mit solch einer Geschichte ist eine seltene Herausforderung, der wir uns in unserem Architekturbüro jedoch mit Leidenschaft stellen. Unsere Werte spiegeln sich in unserem Ansatz wider: Sanierung bedeutet für uns eine zweite Chance, ohne dabei die Wurzeln zu kappen. Die Auseinandersetzung mit der Burgruine Reichenau führte uns auf eine Reise in die Vergangenheit. Wir erkannten schnell, dass es uns nicht nur darum geht, die alten Mauern zu erhalten, sondern auch das alte Wissen und die Bedeutung der Burg für die Geschichte der Region zu bewahren. Wir recherchierten im Landesarchiv, führten Gespräche mit Zeitzeugen und Nachfahren und ließen das daraus gewonnene Wissen in unsere Arbeit einfließen. 

Aus diesen Erkenntnissen entstand ein Buch mit dem Titel »Burgruine Reichenau«, das 162 Seiten umfasst und bei der Gemeinde erhältlich ist. Der Erlös wird zur Gänze in die Sanierungsarbeiten investiert.

Heute ist die Burg eine Kulturstätte und wird für verschiedene Veranstaltungen rege genutzt. Sie ist wieder zu einem lebendigen Ort geworden. (Foto: Nikolaus Schullerer-Seimayr, Tp3 Architekten)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Markus Rabengruber: Unsere Inspiration lag im Wesentlichen darin, die Geschichte wieder erlebbar und in Teilen auch spürbar werden zu lassen. Dabei war es uns aber auch wichtig, Spuren der Vergangenheit zum einen sichtbar zu machen und zum anderen mit einer modernen Materialsprache zu ergänzen und weiterzuführen – das Alte eben in eine neue Zukunft zu überführen.

Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Andreas Henter: Die Geschichte rund um diesen Ort beziehungsweise Bau spiegelt sich nachhaltig im generellen Verständnis wider, denn das Verhältnis der Reichenauer zu »ihrer« Burg ist sehr ambivalent, war es doch in frühen Zeiten von Robotleistungen geprägt. Mit der Burgsanierung und der geschichtlichen Aufbereitung reparierten wir als Architekten nicht nur die Burg, sondern auch das Verhältnis der Reichenauer zu ihrem »vergessenen« Kulturgut. Heute ist die Burgruine wieder in den wirtschaftlichen Kreislauf eingebunden und durch Feste, Burgfestspiele und zahlreiche Veranstaltungen ein lebendiger Ort.

Für Andreas Henter und Markus Rabengruber hat der Begriff Nachhaltigkeit viele Facetten. Auch einen geschichtsträchtigen Ort unter großem Einsatz für künftige Generationen zu erhalten, kann demnach nachhaltig sein. (Foto: Nikolaus Schullerer-Seimayr, Tp3 Architekten)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Markus Rabengruber: Bei der Sanierung der Burgruine mussten mehrere »Befindlichkeiten« bedient werden: zum einen die Sicherung des baustatischen Gefüges in Abstimmung mit den Vorgaben des Bundesdenkmalamtes. Gleichzeitig mussten wir aber auch auf zukünftige Nutzungsszenarien reagieren, um eine vielfältige »Veranstaltungsstätte innerhalb einer Kulturstätte« umzusetzen.

Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Markus Rabengruber: Eigentlich nicht, dennoch muss man gerade bei einer Sanierung immer wieder auf unerwartete Umstände reagieren. Das gilt natürlich in besonderem Maße bei einem Gebäude, das um das Jahr 1315 errichtet wurde.

Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Andreas Henter: Sanierungen stellen in unserer architektonischen Arbeit grundsätzlich einen Großteil der Bauaufgaben dar. Architektonischer Hochglanz ist einer von vielen Maßstäben, nach denen sich Planung und Ausführung richten können und dürfen. Beim Bauen im Bestand orientiert sich unsere Architektursprache jedoch daran, ein Gebäude in eine weitere Phase der Nutzung zu überführen, und zwar möglichst wirtschaftlich.

Markus Rabengruber: Mir gefällt die spannungsreiche Eigenheit, die wir auch bei diesem Projekt erzeugen konnten. Oft erkennt man unsere Intention erst auf den zweiten Blick und merkt, dass es nicht wichtig ist, alles gerade, sauber, bündig oder glatt auszubilden. Peter Zumthor sagte einmal, Architektur sei der Zeit und im Allgemeinen dem Leben ausgesetzt. Wir lieben es, das gesamte Leben eines Gebäudes und die daraus resultierenden Spuren abzubilden und nicht immer nur die beste, makellose Version seiner selbst. Sieht man genau hin, so erkennt man, dass unsere baulichen Eingriffe immer ablesbar sind. Dies ist neben der Stärkung vorhandener Qualitäten eines unserer wichtigsten Anliegen.

Die Sanierungsmaßnahmen sind klar ablesbar. Die Burg ist auch nach den Eingriffen nicht makellos, sondern zeigt die Spuren der Geschichte. (Foto: Nikolaus Schullerer-Seimayr, Tp3 Architekten)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Markus Rabengruber: Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Grundsatz und ein »Gebot der Stunde«, das in der heutigen Zeit berücksichtigt werden muss, sondern auch eine Frage des Blickwinkels. Ob es richtig ist, Energie und Ressourcen in die Sanierung einer Burg zu investieren, kann nicht einfach mit einem Ja oder einem Nein beantwortet werden. Dennoch ist es von unschätzbarem Wert, einen verfallenen Ort zu bewahren und für zukünftige Generationen nutzbar zu machen – auch dies ist letztendlich eine Facette der Nachhaltigkeit.

Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Markus Rabengruber: Zum Glück prägen nur »natürliche« Baustoffe wie Stein, Kalk, Ziegel und Holz die Sanierung.

Lageplan (© Tp3 Architekten)
Nordostansicht (© Tp3 Architekten)
Ostansicht des Bergfrieds (© Tp3 Architekten)
Bauwerk
Burgruine Reichenau: »Eine Kultur der Reparatur«
 
Standort
Schlossviertel 8, 4204 Reichenau im Mühlkreis
 
Nutzung
Kulturstätte
 
Bauherrschaft
Ehem. Tourismusverband Reichenau im Mühlkreis, Verein Erlebnis.REICH.ENAU
 
Architektur
Tp3 Architekten, Linz
Andreas Henter und Nikolaus Schullerer-Seimayr
 
Fachplaner
Statik: Schindelar TZ GmbH, Grieskirchen
 
Fertigstellung
2023
 
Maßgeblich beteiligte Unternehmer 
Zimmerer, Dachdecker, Spengler, Dachverglasung: KAPL Bau GmbH, Bad Leonfelden
Fassade, Mauerwerk: KAPL Bau GmbH, Bad Leonfelden 
Installateur: Thumfarth GmbH, Grünbach bei Freistadt
Elektro: Pachner GmbH, Freistadt: Kurt Nickel, Reichenau im Mühlkreis, und Ing. Dietmar Leitner, Haibach im Mühlkreis
Fenster und Türen: Tischlerei Pachinger, Rainbach im Mühlkreis
WC-Trennwände und Möbeleinbauten: Tischlerei Pühringer, Reichenthal
 
Fotos 
Nikolaus Schullerer-Seimayr, Tp3 Architekten

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