Metamorphose im landschaftlichen Idyll

RT Architekten
30. Juni 2023
Foto: Norbert Freudenthaler
Herr Tschemernjak, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Mit einem Architekturwettbewerb suchte der Alpenverein Innsbruck 2019 nach innovativen Lösungsvorschlägen für den Um- und Zubau seines Jugend- und Seminarhauses in Obernberg. Neben der thermischen Sanierung waren eine schlichte, funktionale, jedoch den heutigen Bedürfnissen der Besucher entsprechende Erweiterung der Räumlichkeiten und die Reorganisation des Bestands gewünscht. Das Besondere der Bauaufgabe lag dabei darin, die durch die zahlreichen Um- und Zubauten der letzten Jahre verworrene Bausubstanz im Sinne der Nachhaltigkeit und des schonenden Umgangs mit Ressourcen zu neuem Leben zu erwecken und eine schlichte Zweckmäßigkeit mit der Atmosphäre des Hüttencharakters zu vereinen. 

Gemäß dem vom Alpenverein ausgegebenen Grundsatz »so groß wie notwendig und so klein wie möglich« bestand unsere Entwurfsidee darin, durch eine gezielte Reorganisation räumlicher Zusammenhänge und interner funktionaler Abläufe im Bestand die neuen Nutzungsanforderungen zu erfüllen und dabei das Haus so wenig wie möglich zu vergrößern. Den vorher an der südöstlichen Ecke zurückspringenden Baukörper haben wir dazu in ein kompaktes Volumen transformiert. An- und Zubauten sowie das Vordach brachen wir ab, die Außenhaut haben wir auf das Wesentliche zurückgebaut. Die kleingekammerten Innenräume im Erdgeschoss schließlich brachen wir auf und bespielten sie neu. 

Der Bestandsbau vor der Umgestaltung: In den letzten Jahren hatten zahlreiche Änderungen und Ergänzungen die Qualität des Bauwerks beeinträchtigt. (Foto: © RT Architekten)
Mit dem neuerlichen Umbau ging eine Reduktion auf das Wesentliche einher. Das Jugend- und Seminarhaus tritt nun als kompaktes Gebäude in Erscheinung. (Foto: Norbert Freudenthaler)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Inspiriert von der Kraft des Ortes und der imposanten Landschaft mit dem Tribulaunmassiv im Hintergrund, haben wir versucht, das Gebäude mit gezielt gesetzten Öffnungen und Achsen in Kommunikation treten zu lassen. Blickachsen, die eine weitere räumliche Ebene der Reorganisation darstellen, ziehen die umgebende Landschaft nicht nur in Form von bewusst »gerahmten Blicken«, etwa auf das Obernberger Kirchlein, ins Innere des Hauses. Wir haben auf diese Weise die Besonderheiten des Standortes sowie die Grundhaltung des Alpenvereins sichtbar gemacht, der sich für eine maßvolle und umsichtige Nutzung und den Schutz des Alpenraums einsetzt.

Die Ausgestaltung der Innenräume war von Anfang an fester Bestandteil des architektonischen Entwurfs. Die Wand im Vorraum wurde als Kunstprojekt von Norbert Freudenthaler gestaltet. (Foto: Norbert Freudenthaler)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Der Philosophie und der Vorbildfunktion des Alpenvereins entsprechend haben wir beim Entwurf auf eine zu den heutigen Bedürfnissen passende, aber schlichte, zeitlose und zweckmäßige Ausstattung Wert gelegt sowie auf einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck im Hinblick auf Bau, Betrieb und Entsorgung.

Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Wir haben beim Entwurf von Anfang an die Innenraumgestaltung und hier insbesondere die Tischlerarbeiten durch eine einheimische Firma miteinbezogen. So konnte unser Wettbewerbsprojekt im Sinne eines stimmigen Gesamtkonzeptes wie vorgeschlagen umgesetzt werden.

Nach dem Umbau öffnen sich gezielt gesetzte Ausblicke in die alpine Landschaft. (Foto: Norbert Freudenthaler)
Die Akustikdecke besteht aus Fichtenholz-Latten unterschiedlicher Breite. (Foto: Norbert Freudenthaler)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Ohne Schwerpunktsetzung versuchen wir bei jeder neuen Bauaufgabe, in enger Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft durch eine intensive Auseinandersetzung mit projektspezifischen Vorgaben, der Umwelt und dem Bezug zum Ort differenzierte und individuelle Lösungen zu finden. Unser Ziel ist es, hochwertige, unverwechselbare Projekte zu entwickeln und die Projektumsetzung über alle Planungsphasen hinweg bis zur Fertigstellung zu betreuen. Der klare Bezug des jeweiligen Projekts zu seinem Ort, zu Mensch und Umwelt sowie der bewusste Umgang mit Ressourcen und regionalen Materialien sind dabei bestimmende Faktoren unserer Arbeit. Jedes Projekt für sich ist eine neue, spannende Herausforderung. Uns geht es stets darum, den Anforderungen und der Aufgabenstellung mit viel Engagement und Liebe zum Detail zur Zufriedenheit der Bauherrschaft und im Sinne einer ökologisch wie ökonomisch nachhaltigen Gesamtlösung gerecht zu werden.

Foto: Norbert Freudenthaler
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Sowohl beim Innenausbau als auch hinsichtlich der Fassade haben wir auf die regionale Herkunft der Materialien geachtet. Der Einsatz von hellem Eschenholz für Möbel, Türen, Böden und Wandverkleidungen sowie die Akustikdecke aus Fichtenholz-Latten unterschiedlicher Breite bilden zusammen mit dem in den Gängen und für die Arbeitsplatten verwendeten Naturstein, dem Passeirer Gneis, ein stimmiges Gesamtbild. Dazu passende Tische und Sitzbänke, die ebenfalls aus Esche gefertigt sind, lassen die Räume hell und gemütlich erscheinen und laden zum geselligen Beisammensein ein. 

Eine schlichte, hinterlüftete Holzfassade aus heimischer Fichte unterstreicht den Hüttencharakter. Sie führt zu einem neuen Erscheinungsbild, das in die umgebende Bergwelt passt.

Lageplan (© RT Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© RT Architekten)
Schnitt (© RT Architekten)
Bauwerk
Jugend- und Seminarhaus Obernberg
 
Standort
Innertal 49, 6157 Obernberg am Brenner
 
Nutzung
Jugend- und Seminarhaus
 
Auftragsart
Geladener Architekturwettbewerb
 
Bauherrschaft
Alpenverein Innsbruck 
 
Architektur
RT Architekten Ziviltechniker KG, Innsbruck 
Philipp Tschemernjak und Ulrike Rothbacher 
 
Fachplaner
Statik: IFS Ziviltechniker GmbH, Innsbruck
Elektro- und HLS-Planung: Haslinger & Gstrein GmbH & CoKG, Innsbruck, und IB PRO-Plan, Kitzbühel
 
Bauleitung 
Ausschreibung Bau: DI (FH) Elke Knoll
 
Fertigstellung
2021
 
Energiestandard
– Thermische Sanierung mit Fenstertausch
– Umstellung der Heizanlage von Öl auf Pellets und eine Photovoltaikanlage
 
Kunst am Bau
Norbert Freudenthaler, Mutters: Wandgestaltung Vorraum 
 
Fotos
Norbert Freudenthaler 

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