Quartier am Raiffeisenplatz – die Altstadt weitergedacht

Atelier Silvia Boday
21. Juli 2023
Nur vom Mathoi-Garten aus gesehen weist das neue Quartier einen ländlichen Charakter auf. Ansonsten finden die architektonischen und räumlichen Qualitäten der Altstadt in der Anlage ihre Fortsetzung. (Foto: Lukas Schaller)
Frau Boday, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Die Raiffeisen Regional Bank Schwaz als Besitzerin betrieb seit Jahren einen großen und zentral gelegenen Parkplatz in der Schwazer Innenstadt. Eigentlich erinnerte dieser mehr an eine überdimensionale »Baulücke« – verwinkelt und unfertig lag er zwischen dem romantischen Mathoi-Garten, dem Bau des Arbeitsmarktservice (AMS) und dem städtischen Kindergarten. Aufgrund des Interesses verschiedener Nutzer*innen und des dringenden Verlangens, die Situation zu verbessern, entschied man sich, über einen geladenen Architekturwettbewerb eine Lösung für eine nachhaltige Verdichtung zu finden. 

Die Herausforderung bestand darin, dem innerstädtischen Bauplatz eine Körnung zu verleihen, welche die großzügigen Außenräume würdigt, gleichzeitig eine Nachverdichtung erlaubt und den Charme der Altstadt erhält. 

Blick auf den neuen Platz zwischen Bank und Quartier (Foto: Lukas Schaller)
Den Erdgeschosszonen und dem niedrigen Baukörper sind öffentliche Nutzungen zugewiesen. (Foto: Lukas Schaller)
Das Volumen des Gebäudes wird durch die Terrassen-Einschnitte strukturiert. (Foto: Lukas Schaller)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Inspirierend war sicherlich der Charme einer Altstadt, in diesem Fall der Schwazer Silberstadt. Es sind die Kleinteiligkeit ihrer Struktur, die Unregelmäßigkeiten der Häuser, die engen Gassen, die sich überraschend zu Plätzen öffnen, die belebten Erdgeschosszonen und die versteckten Querverbindungen für Fußgänger*innen, die ihren Reiz ausmachen. Diesen Qualitäten galt meine städtebauliche Aufmerksamkeit. Beeinflusst wurde ich dabei auch von meiner Faszination für die Enge italienischer Stadtgefüge und deren kommunikative Zwischenräume. Auch wollte ich die Altstadterweiterung formal und in der Farb- und Materialauswahl fortführen. Dies spiegelt sich in der Bezugnahme auf die verschiedenen historischen Putzarten und Fenstertypologien wider.

Verbindungswege queren das Quartier. (Foto: Lukas Schaller)
Der Charakter der Altstadt mit den gassenartigen Durchwegungen wurde bei der neuen Anlage weitergedacht. (Foto: Lukas Schaller)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Neben dem Charme der Altstadt war auch die topografische Lage ein zentrales Thema. Es ging darum, gegebene Niveauunterschiede zwischen »Berg und Tal« auf möglichst natürliche Weise zu überwinden. Dabei war mir eine fußläufige Durchwegung in Form von Querverbindungen sehr wichtig. Gassenartig durchquert man nun das neue Quartier, Räume öffnen sich und geben Ausblicke auf Schwazer Kulturdenkmäler frei. Entstanden ist auch ein neuer Platz der Begegnung mit einem Café, das zum Verweilen einlädt. Und nicht zuletzt erlaubte uns das besondere Geländeprofil, eine helle, von außen nicht wahrnehmbare Tiefgarage für 180 Autos in zentralster Lage zu verstecken. Die »Mäuler« zum Ein- und Ausfahren verschwinden im Gefüge.  

Servicecenter der ÖGK-Bezirksstelle Schwaz (Foto: Lukas Schaller)
Warteraum des Servicecenters (Foto: Lukas Schaller)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Die Bauherrschaft suchte nicht nur nach Raum zum Wohnen, sondern auch nach einer dauerhaften Belebung des zentralen Stadtgefüges. Es wurde das in der Quartiersentwicklung bewährte Konzept der Aktivierung der Sockelzone mit Dienstleistern gewählt. Das Ziel war dabei die Schaffung von Synergien im unmittelbaren Umfeld sowohl struktureller als auch sozialer Natur. Die Grundrissgestaltung sollte individuelle Veränderungen und Anpassungen ermöglichen. Besonders im Sektor der Gesundheitsdienstleistungen ist diese Flexibilität mit der Möglichkeit, auf Veränderung reagieren zu können, von Vorteil und garantiert der Bauherrschaft ein nachhaltiges Projekt. 

Aber auch der Wohnbau erzeugt mit seiner Vielfalt und Individualität ein hohes Maß an Identifikation der Bewohnenden in einem, nennen wir es einmal so, Mehrparteienhaus. Je nach Geschoss, Ausrichtung oder äußerlichen Gegebenheiten sind verschiedenste Wohnungstypen entstanden. Jeder Baukörper, jede Wohnung, jedes Büro und jede Ordination ist einzigartig, weist andere Blickbezüge und Lichtverhältnisse auf.

Offener Wohnraum mit Blick auf die gefaltete Betondecke (Foto: Lukas Schaller)
Die Bäder erhalten durch das Farbenspiel und die Raumhöhe eine besondere Note. (Foto: Lukas Schaller)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Dieses Projekt war der individuellste und vielfältigste Wohnbau, den ich bis jetzt umgesetzt habe. Jede Wohnung ist einzigartig, hat andere Blick- und Außenraumbezüge und damit verbunden spezielle Lichtverhältnisse. Jedes Stockwerk unterliegt einem eigenen Farbkonzept. Das zieht verschiedenste Persönlichkeiten und Nutzer*innen an – diese neue Vielfalt finde ich spannend. 

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Bedingt durch die große zweigeschossige Tiefgarage kam eine Stahlbetonkonstruktion zum Einsatz – aus statischer Sicht das einzig Sinnvolle. Nur im Bereich der Erweiterung des alten Eglo-Gebäudes zur Innsbruckerstraße fiel die Wahl auf vorgefertigte Holzelemente. Neben dem verantwortungsvollen Umgang mit der verfügbaren Grundfläche wurde der Einsatz von Materialien in ihrer ursprünglichen Form, also ohne künstliche Veredelungen, forciert. Eine Betonkernaktivierung ermöglicht in Kombination mit einem Wärmepumpensystem eine schonende Klimatisierung. 

Alle öffentlichen Bereiche des Quartiers sind mit grünen Terrazzo-Fliesen ausgeführt und ergänzen somit das Leitsystem. (Foto: Lukas Schaller)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Den Erfolg des Projekts macht hauptsächlich seine städtebauliche Setzung aus. Entscheidend ist, wie die Baukörper zueinander stehen und welchen Maßstab sie im Verhältnis zur Altstadt aufweisen. Das Konzept der fußläufigen Einbindung der Erdgeschosszonen in die Umgebung mit Blickachsen zu Schwazer Wahrzeichen ermöglicht ein Gefühl der Vertrautheit und Geborgenheit. 

Hinsichtlich der Materialien aber würde ich am ehesten den Umgang mit den Putzstrukturen und die »systematische« Gestaltung der Fassaden nennen. Die unterschiedlichen Putzarten erzählen von der weitergebauten Stadt, und die Vielfältigkeit der Fassade bringt die innere Nutzung an der Außenfläche zum Ausdruck. Um hier ein Beispiel zu geben: Raumbildende Öffnungen sind außenbündig gesetzt und in eloxiertem Metall ausgeführt, Schlafräume hingegen haben Holzfenster mit Läden, die romantisch und abdunkelnd wirken. 

Blick auf die Ostfassade (Foto: Lukas Schaller)
Lageplan (© Atelier Silvia Boday)
Grundriss Erdgeschoss (© Atelier Silvia Boday)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Atelier Silvia Boday)
Schnitt (© Atelier Silvia Boday)
Bauwerk 
Quartier am Raiffeisenplatz
 
Standort
Postgasse 2, 6130 Schwaz
 
Nutzung
Wohnungen, Ordinationen und öffentliche Einrichtung
 
Auftragsart
Geladener Wettbewerb
 
Bauherrschaft
Raiffeisen Regionalbank Schwaz
 
Architektur
Atelier Silvia Boday, Innsbruck
Silvia Boday, Thomas Hinterholzer, Anke Knabel-Donau und Johanna Quast 
 
Fachplaner
Tragwerksplanung: IFS-Ziviltechniker GmbH, Innsbruck
HSL: Klimatherm, Zirl
Elektro: Ing. Karl Strizsik, Gallzein
 
Bauleitung
Maiacher Planungs- und Bauleitungs OG, Ranggen
 
Fertigstellung
2022
 
Kunst am Bau
«Himmel über Schwaz»
Idee: Silvia Boday, Foto: David Schreyer
 
Maßgeblich beteiligte Unternehmer 
Baumeisterarbeiten: Strabag AG, Wien
Zimmermann: Ortner Holz-Center GmbH & Co KG, Prutz
Schlosserarbeiten: Huter & Söhne, Innsbruck
Schlosserarbeiten: WB-Montagetechnik GmbH, Uderns
Holzfenster: Bau-und Möbeltischlerei Wieser Friedrich 
Tischlerarbeiten: Tischlerei Steixner, Schönberg, und Tischlerei Seeber Christoph GmbH, Schwaz
Tischlerarbeiten ÖGK: Spechtenhauser, Innsbruck
 
Fotos
Lukas Schaller, Wien

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