Aussichtsturm von Snøhetta ist »Bau des Jahres«

Elias Baumgarten
2. Februar 2024
Grafik: Austria-Architects.com basierend auf Fotos von Christian Flatscher

In unserer Rubrik »Bau der Woche« stellen wir regelmäßig neue Bauwerke von österreichischen und Südtiroler Architekturschaffenden vor. Auch Arbeiten, die ausländische Kolleginnen und Kollegen in Österreich verwirklicht haben, finden Beachtung. Immer im Jänner haben alle Interessierten die Möglichkeit, aus den im Vorjahr präsentierten Bauten ihren Favoriten zu wählen – den »Bau des Jahres«.

Die zehn beliebtesten Bauwerke werden seit 2022 zusätzlich beim Kurzvortragsabend »Eure Besten« von den Architektinnen und Architekten live präsentiert. Die Veranstaltung findet jedes Jahr im Herbst statt. Weitere Informationen zur heurigen Ausgabe folgen in Kürze.

Vielleicht bescheinigt Architektinnen und Architekten nichts mehr, dass sie ihre Aufgabe mit Bravour gemeistert haben, als der Gewinn eines Publikumspreises: Ihr Bauwerk muss in Fachkreisen als herausragend anerkannt werden – vor allem aber muss es starke Emotionen bei Menschen wecken, die sich sonst womöglich kaum für Architektur interessieren. Bei unserer Wahl zum »Bau des Jahres« haben Bauten die besten Chancen, die Tausende so sehr begeistern, dass sie für sie abstimmen, weil »ihr« Bauwerk unbedingt einen Preis erhalten soll. In diesem Jahr wird das besonders deutlich: Auf den hölzernen Aussichtsturm unterhalb des Gipfels des Wiedersberger Horns von Snøhetta entfiel eine nie dagewesene Stimmenzahl. Beeindruckend viele Menschen ließ auch die Neugestaltung des Kirchplatzes der Marktgemeinde Griffen von SHARE architects an der Abstimmung teilnehmen. Komplettiert wird das Podium durch die Sanierung der Burg von Reichenau im Mühlkreis von Tp3 Architekten – noch ein Projekt, mit dem sich vor Ort viele in besonderem Maße identifizieren.

Doch warum begeistern sich so viele Menschen für die drei Projekte? Was macht sie architektonisch aus? Snøhettas Innsbrucker Studio, das von Patrick Lüth geleitet wird, überzeugte schon in der Vergangenheit immer wieder mit seinen Holzbauten: Bei der Wahl zum »Bau des Jahres 2020« machte das Tiroler Team des norwegischen Büros mit dem neuen Hauptsitz des Öko-Reiseveranstalters ASI das Rennen. Der 13 Meter hohe Aussichtsturm neben der neuen Bergstation der Hornbahn 2000 trifft nun in mehrerlei Hinsicht einen Nerv: Das Innere des unbeheizten Baus wird von Holzoberflächen geprägt, so entsteht eine behagliche Atmosphäre. Bei der Gestaltung haben sich die Architekten von Tiroler Bauernhäusern inspirieren lassen – darum ist der untere Teil des zweigeschossigen Raums vertäfelt, während weiter oben das Tragwerk offen gezeigt wird. Wie bei einer Schutzhütte sind die Türen des Turms immer offen. Alle dürfen ihn betreten, konsumieren müssen die Besuchenden nichts – ein einzigartiger Ansatz mitten im Skigebiet, der sehr gefällt. 

Der Innenraum des Aussichtsturms von Snøhetta ist gemütlich und bietet durch ein großes Panoramafenster eine herrliche Aussicht auf die Bergwelt ringsherum. (Foto: Christian Flatscher)
Aufhalten darf sich im Turm jeder, konsumiert werden muss dort nichts. (Foto: Christian Flatscher)

Gehüllt ist der Turm in ein handgemachtes Schindelkleid. Ein einheimischer Schindelmacher aus Alpbach hat es angefertigt. Schön, dass Architekten und Bauherrschaft in einer Zeit, da Qualität und sorgfältige Arbeit vermeintlich kaum noch etwas zählen, die alte, im Alpenraum fast ausgestorbene Handwerkskunst wieder aufleben lassen. Von der Aussichtsplattform auf dem Dach schließlich hat man einen 360-Grad-Rundumblick auf die Berge Tirols. Dass der Aussichtsturm nun derart viele Stimmen gewinnen konnte, dürfte auch die Bauherrschaft sehr freuen, wollten die Alpbacher Bergbahnen ihr Skigebiet doch gezielt durch gute Architektur aufwerten.

Die Gebäudehülle besteht aus handgemachten Holzschindeln. (Foto: Christian Flatscher)
Auf der Aussichtsplattform (Foto: Christian Flatscher)
Schnitte (© Snøhetta)
Der umgestaltete Kirchplatz im Herzen der Gemeinde Griffen (Foto: Kurt Kuball)
»Wir haben uns als ›Übersetzer‹ gesehen: Unsere Aufgabe bestand darin, die Inputs und Anregungen der Bürger*innen und der Gemeinde aufzunehmen und gleichzeitig das Potenzial des Ortes zu identifizieren. Anschließend mussten wir all diese Komponenten in eine ganzheitliche Strategie einfließen lassen.«

Silvia Forlati, SHARE architects 

Rang zwei: Belebung des Ortskerns von Griffen

Warum so viele Menschen für die Umgestaltung des Kirchplatzes in Griffen gestimmt haben, ist leicht erklärt: Das Projekt verbessert ihre Lebensqualität. Geplagt von Leerstand und Abwanderung, begann die Gemeinde 2016, sich mit ihrem Ortskern zu beschäftigen. SHARE architects moderierten einen partizipativen Prozess, in dem gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern ein Maßnahmenkatalog für den Ort erarbeitet wurde. Das Projekt des Wiener Büros für den Kirchplatz macht vieles richtig: Statt neu zu bauen, wurde Vorhandenes genutzt. Pflanztröge und die Betonstiegen vor der Kirche wurden repariert und gereinigt. Im historischen Burgstadl sind neuerdings ein Infopoint und eine Ausstellung eingerichtet. Ein Teil der Parkplätze ist verschwunden, damit man sich auf dem Platz wirklich aufhalten mag. Die Fahrbahn der Bundesstraße, die durch das Ortszentrum verläuft, wurde verengt, so fahren die Autos langsamer. Und für die Bepflanzung wurden Bäume ausgesucht, die dem Klimawandel widerstehen können.

SHARE architects haben bei dem Projekt mit vielen anderen Expertinnen und Experten zusammengearbeitet. Die Revitalisierung des Burgstadls zum Beispiel übernahm der Architekt Josef Klingbacher, bei der Gestaltung der Außenräume brachte sich das Landschaftsplanungsbüro Lenaplant ein, das erst später zum Projektteam gestoßen war. Auch der örtliche Verschönerungsverein engagierte sich stark. Und durch eine Kooperation mit dem Architekturspielraum Kärnten war es möglich, selbst Schülerinnen und Schüler an der Umgestaltung des Kirchplatzes zu beteiligen. 

Mittlerweile haben all die großen und kleinen Eingriffe in Griffen dazu geführt, dass wieder mehr Menschen in dem Ort leben möchten und der Leerstand zurückgegangen ist. Außerdem haben sich neue Betriebe und Dienstleister in der Gemeinde angesiedelt. 

Der Platz befindet sich an einer viel befahrenen Straße. Die Verengung der Fahrbahn und die Wegnahme der Mittellinie führen dazu, dass die Autofahrer intuitiv den Fuß vom Gas nehmen. (Foto: Kurt Kuball)
Lageplan (© SHARE architects)
Blick auf die sanierte Burgruine von Reichenau. Heute wird das Baudenkmal wieder rege genutzt. (Foto: Nikolaus Schullerer-Seimayr, Tp3 Architekten)
Rang drei: Eine Kultur der Reparatur

Kaum beachtet, war die Burgruine von Reichenau zwischenzeitlich dem Verfall preisgegeben. Doch Tp3 Architekten aus Linz ist es gelungen, das 1315 errichtete Baudenkmal wieder zu aktivieren. Sie verwandelten den schon fast vergessenen Ort in eine beliebte Bühne für Feste, Burgfestspiele und viele andere Veranstaltungen. So gaben sie der Bevölkerung ein Stück ihrer Geschichte zurück. Beeindruckend ist, wie sehr die Architekten sich auf ihre Aufgabe einließen. Sie recherchierten in Archiven und führten etliche Interviews mit Zeitzeugen und Nachfahren. Schließlich schrieben sie sogar ein Buch über die Burg, dessen Erlös in die Sanierung gesteckt wird. Architektonisch sind die neuen Bauteile in einem modernen Stil gestaltet. So können die Menschen die unterschiedlichen Zeitschichten besser ablesen und Geschichte wird erlebbar.

Die Eingriffe von Tp3 Architekten sind klar zu erkennen. So verwischen die Zeitschichten nicht. (Foto: Nikolaus Schullerer-Seimayr, Tp3 Architekten)
Foto: Nikolaus Schullerer-Seimayr, Tp3 Architekten

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