Ferien in einem Walliser Juwel

Manuel Pestalozzi
13. Juli 2023
Als repräsentativer Bau wurde die Kaplanei von Ernen teils in Stein gebaut. (Foto: Gataric Fotografie)

Die Stiftung Ferien im Baudenkmal wurde 2005 vom Schweizer Heimatschutz gegründet. Sie übernimmt dem Verfall ausgesetzte oder vom Abriss bedrohte Baudenkmäler, um sie sanft als Ferienobjekte zu restaurieren. Bis heute ist das Angebot auf 56 Gebäude in der ganzen Schweiz angewachsen. 11 davon befinden sich im Eigentum der Stiftung.

Über Jahrhunderte hinweg hatte Ernen, das auf der linken Seite des Rohnetals gegenüber von Fiesch liegt, im Goms eine Vormachtstellung inne: Mächtige Familien leiteten von dem Dorf aus die Geschicke der Republik Wallis. Um ihre Macht und ihren Reichtum zu demonstrieren, ließen sie prächtige Wohnbauten errichten, bei denen meist mehrere Geschosse in Block- oder Strickbauweise auf aus Stein gemauerte Sockel gesetzt wurden. Dazu muss man wissen, dass Abbau und Transport der Steine besonders mühselig und kostspielig waren. Gewöhnliche Bauten wurden in der Gegend darum gänzlich in Holzbauweise errichtet.

1776 entstand im Dorf die Kaplanei – der Wohn- und Dienstsitz des Kaplans. Das vornehme, teils als Steinhaus errichtete Gebäude verfügt über eine eigene Hauskapelle, Rokoko-Deckengemälde und barocke Wandvertäfelungen. Es steht nur wenige Schritte vom Dorfplatz entfernt, der als besonders schön und historisch bedeutsam gilt. Ernen ist in seiner Geschichte weitgehend von größeren Zerstörungen durch Kriege oder Dorfbrände verschont geblieben. Um das Ortsbild von nationaler Bedeutung zu erhalten, betreibt die Gemeinde schon seit den 1950er-Jahren eine vorbildliche Pflege der historischen Bausubstanz. Dafür wurde sie 1979 mit dem Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes ausgezeichnet. 

Die Küche wurde mit diskreten Eingriffen wieder funktionstüchtig gemacht. (Foto: Gataric Fotografie)
Die Hauskapelle mit einem schönen Kreuzgewölbe dient nun profanen Zwecken. (Foto: Gataric Fotografie)
Wachgeküsst

Die Kaplanei wurde bis 1952 im Sinne ihrer ursprünglichen Bestimmung genutzt. Danach stand sie über 70 Jahre leer und verfiel, bis sie 2018 von der katholischen Kirchgemeinde Ernen der Stiftung Ferien im Baudenkmal zur Nutzung übergeben wurde. Nach fünf Jahren der Planung und Instandsetzung kann man in dem historischen Haus jetzt seine Ferien verbringen. 

Die Restaurierung erfolgte durch das Büro Zenklusen Pfeiffer Architekten aus Brig, das eng mit der Walliser Denkmalpflege zusammenarbeitete. Ein großer Teil der Finanzierung der Instandstellung konnte dank einer Partnerschaft mit der Schweizer Berghilfe sichergestellt werden. Zahlreiche weitere Institutionen und Privatpersonen haben das Vorhaben unterstützt.

Die Stube befindet sich jenem Gebäudeteil, der als Strickbau erstellt wurde. (Foto: Gataric Fotografie)

Von außen beeindruckt der zweigeschossige Mischbau über dem gemauerten Sockelgeschoss durch seine Tuffsteineinfassungen der Fenstern und Türen. Vor dem Haupteingang breitet sich eine Wildblumenwiese aus. Auf der Rückseite, die zur Kirche orientiert ist, hat man von einem Gartensitzplatz aus einen herrlichen Blick auf das Bergpanorama. 

Im Inneren der Kaplanei befinden sich im neu ausgebauten Sockelgeschoss ein großes, grün getünchtes Badezimmer sowie ein Musikzimmer mit Bettsofa. Das erste Obergeschoss, in das eine steinerne Treppe empor führt, nimmt die Küche mit originalem Steinboden und der sogenannten »Trächa« auf, einer offenen Feuerstelle. Die Wände sind in diesem Raum rußgeschwärzt. Daneben liegen das Esszimmer und die Stube, die mit einer barocken Wandvertäfelung und einem Specksteinofen mit sakralen Ornamenten zum gemütlichen Verweilen einlädt. Im zweiten Obergeschoss sind zwei Schlafzimmer untergebracht. Dort befindet sich auch das Herzstück der Kaplanei: die Hauskapelle mit prächtigen Deckengemälden. Über eine schmale Holztreppe gelangt man schließlich ins Dachgeschoss, wo in den wärmeren Monaten zwei weitere Personen übernachten können.

Diverse Einbaumöbel und der historische Specksteinofen konnten gerettet werden. (Foto: Gataric Fotografie)

Im Gegensatz zu den Orten auf der anderen Talseite zieht Ernen keine großen Touristenmassen an. Die Anreise mit dem Postbus ist über die Route von Fiesch ins Binntal möglich. Der Bus nimmt auf Wunsch auch Fahrräder mit, wenn dies am Vortag bis spätestens 16 Uhr angemeldet wurde. Doch nicht nur für Radtouren, sondern auch als Ausgangspunkt für Wanderungen bietet sich Ernen an: Das Dorf ist umgeben vom weitläufigen Landschaftspark Binntal. Ein dichtes Netz von Wanderwegen mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad lädt zur Erkundung der Region ein, die auch in baulicher Hinsicht viel zu bieten hat – nicht zuletzt die restaurierte »Trusera«, einer der östlichsten der bekannten Walliser Bewässerungskanäle.

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