Neue Prioritäten im Wohnungsbau

Ulf Meyer
29. Juni 2023
Foto: Luiza Puiu

Wenn Architekten über ein von ihnen gestaltetes Wohnhaus sagen, es stünde nicht das Erscheinungsbild im Vordergrund, sondern die Gebrauchstauglichkeit, lässt das aufhorchen. Ist das vorauseilende Selbstkritik? Das Büro WUP architektur hat im Wiener Neubauviertel Aspern an der Mela-Köhler-Straße ein außergewöhnliches Wohnhaus gebaut, dessen Gestalt das Team zu entschuldigen scheint: Das Kostenkorsett des geförderten Wohnbaus habe einen Betonbau erfordert. Der sparsame und reduzierte Einsatz des Materials rechtfertige das aber, zumal die Grundrisse über Generationen hinweg flexibel nutzbar seien. Tatsächlich braucht es in Wien auch unorthodoxe Lösungen, um den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu beheben.

Doch der Reihe nach: Auf dem Baufeld H4 am Rande des Elinor-Ostrom-Parks baute die Wiener Gemeindewohnungs Baugesellschaft (WIGEBA) im Auftrag der Stadt ein Haus, das sich durch besonders flexible Grundrisse und eine möglichst einfache, kostengünstige Materialisierung auszeichnen sollte. Die Baukosten betrugen dabei nur 1475 Euro pro Quadratmeter Bruttogeschossfläche, was wiederum Mieten von 7,50 Euro pro Quadratmeter ermöglichte. Die 74 Zwei- bis Vierzimmerwohnungen in dem neuen Haus sind auf junge Paar mit kleinen Kindern, Alleinerziehende und Patchworkfamilien ausgerichtet.

Foto: Luiza Puiu
Foto: Luiza Puiu
Veränderlichkeit und Gemeinschaft

Um das gewünschte Maß an Flexibilität zu garantieren, entwickelten die Architekt*innen, die mit ihrem Entwurf eine zweistufige Planungskonkurrenz gewonnen hatten, ein Tragsystem, das mit nur zwei tragenden Wänden pro Geschoss auskommt. Die Außenwände sind teils aufgelöst, und die Deckenstärken wurden minimiert. Um das Gebäude herum verlaufen großzügige Balkone. 

Die Wohnungen selbst sind durch Schiebewände an unterschiedliche Lebenssituationen anpassbar. Viele Zimmer sind im Grundriss so gestaltet, dass sie zwei Zugängen aufweisen – so können die Wohnungen je nach Bedarf auf verschiedene Weise bespielt werden: Die Bewohnenden können sie umgestalten, um beispielsweise Platz zu schaffen für ein Home-Office, die Kinder, eine Pflegekraft oder ein Haustier. So kann beispielsweise leicht eine Zwei- wie eine Vierzimmerwohnung genutzt werden. Ein Fitnessbereich, ein Gemeinschafts- sowie ein Hobbyraum erhöhen die Lebensqualität. Auch drei Gewerbeeinheiten sind im Haus untergebracht und beleben es zusätzlich.

Foto: Luiza Puiu
Foto: Luiza Puiu
Foto: Luiza Puiu
Von Kompromissen und Qualitäten

Die vorwiegend in Rottönen gehaltenen Fassaden orientieren sich an den famosen Wiener Gemeindebauten wie dem Karl-Marx-Hof. Kleine blaue und gelbe Farbfelder sollen indes mit wenig Aufwand und ohne hohe Zusatzkosten für Abwechslung sorgen. Trotz aller Finessen und architektonischen Neuerungen hatten die niedrigen Baukosten am Ende allerdings doch ihren Preis: Am Haus wurden Kunststofffenster und ein Wärmedämmverbundsystem verbaut. Auch die verzinkten Geländer wirken billig. Und trotzdem zeigt das heuer vollendete Projekt eindrücklich, was mit einem minimalen Budget im Geschosswohnungsbau möglich ist, wenn alle Konzentration dem Raumangebot und der Entwicklung innovativer Grundrisse gilt. Zur Qualität des Wohnhauses trägt ferner auch die Freiraumplanung des Wiener Büros rajek-barosch bei.

Regelgrundriss (© WUP architektur)
Verschiedene Nutzungsszenarien (© WUP architektur)

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