Interview
Paul Schmidt: »Wir sind vom Produkt Stroh überzeugt und deshalb empfehlen wir es«
Katinka Corts
15. Dezember 2022
Das Ausstellungs- und Bürogebäude der Gartist GmbH in Bubikon im Bau (Foto © Atelier Schmidt)
Naturmaterialien stehen bei Atelier Schmidt an vorderster Stelle, wenn es um Neubauten und Sanierungen geht. Paul Schmidt sprach mit uns über die Vorzüge und Besonderheiten verschiedener Naturbau-Methoden.
Dieses Interview wurde von unserem deutschen Partnermagazin auf german-architects.com übernommen.
Im englischen Märchen von den drei kleinen Schweinchen stürzt das Strohhaus ein, als der Wolf versucht, es umzupusten. Das Holzhaus verliert ebenso. Nur jenes aus Stein besteht die Prüfung. Würden Joseph Jacobs oder Elizabeth Shaw, die Autorin der deutschen Version, die Geschichte heute noch einmal schreiben, müssten sie wohl andere Maßstäbe ansetzen. Stand das Bauen mit Stroh zu den Ursprungszeiten der Geschichte stellvertretend für Einfachheit und Bequemlichkeit, das Bauen mit Stein hingegen für Fleiß und harte Arbeit, ist es heute doch ganz anders: Holz und Stroh, generell Naturmaterialien, sind immer gefragter. Bauen mit Stein – sagen wir zeitgemäß auch: Beton – steht in der Kritik, zu viel CO₂ entsteht bei der Herstellung. Alle größeren Zementhersteller arbeiten an sparsameren Rezepturen und Ersatzstoffen, Forschende an Universitäten und Hochschulen ebenso. Und während der Holzbau seit Jahrzehnten Marktanteile gewinnt und Architekt*innen wie Anna Heringer das Bauen mit Lehm postulieren, setzen sich die Planer*innen von Atelier Schmidt aus Truns für das Bauen mit Stroh ein.
Herr Schmidt, Ihre großen Bauten mit den tiefen Fenster- und Türlaibungen fallen auf im Stadtbild, das oft beliebig und repetitiv erscheint. Bauten mit Wänden aus Strohballen strahlen unmittelbar Ruhe und Nahbarkeit aus. Meinen Sie, dieses Bild bringt Bauherrschaften dazu, mit Ihnen in Kontakt zu treten?
Wir haben es meist mit zwei verschiedenen Arten von Bauherrschaften zu tun: Die einen haben von unseren Strohbauten gehört und sind fasziniert von den Möglichkeiten. Die anderen kommen aus der Region unseres Büros, sie mögen einfach unsere Architektur. Ich finde es sehr spannend, mit den Einheimischen zu bauen, weil man die noch überzeugen muss von dieser Bauweise.
Unsere Argumente für nachhaltiges Bauen sind immer die drei Faktoren Herstellungsenergie, Betriebsenergie und Lebensdauer. Im Detail heißt das, dass wir möglichst ökologisch bauen, dann im Betrieb wenig Energie verbrauchen – also wo immer möglich auf mechanische Lösungen verzichten – und ein ästhetisches Gebäude errichten wollen, das dank seiner Anpassbarkeit eine sehr lange Lebensdauer hat. Ich sage gerne: Denken Sie an ein Kloster. Das Kloster Disentis zum Beispiel stammt aus dem späten 17. Jahrhundert, ist aber damals so gut konzipiert worden, dass es auch heute noch nutzbar ist. Es kann unterschiedlichsten Bedürfnissen gerecht werden.
Bei unseren Projekten wollen wir alle drei Faktoren berücksichtigen – Stroh ist nur Mittel zum Zweck. Es ermöglicht uns, die Herstellungs- und Betriebsenergie zu reduzieren. Das überzeugt die meisten und sie verstehen, dass man ökologisch bauen sollte. Ob man dann im konkreten Fall mit Stroh oder Schafwolle arbeitet, ist nebensächlich. Ich verstehe aber auch die Wahrnehmung von außen, dass wir eine Familie von Strohbauern sind.
Haus B, Safienthal (Foto © Atelier Schmidt)
Sie machen also den Fächer auf und beschränken sich nicht von vornherein darauf, bestimmte Materialien einzusetzen?
Wir schreiben dem Bauherrn generell nichts vor. Wir sind aber vom Produkt Stroh überzeugt und deshalb empfehlen wir es. Bei einem Umbau für einen Schafzüchter haben wir hingegen mit Schafwolle gearbeitet. Sein Wohnhaus ist nämlich ein historischer Strickbau, dessen Optik wir erhalten wollten. Stroh hätten wir außen vor die Fassade setzen müssen. Damit hätten wir den Strickbau versteckt. Also haben wir innen mit Wolle gedämmt.
Obwohl Wolle ein gutes Dämmmaterial ist, werden die Schafe in erster Linie zur Landschaftspflege und zur Fleischproduktion gehalten und die Wolle wird oft entsorgt. Einige Firmen stellen daraus zwar Dämmmaterial her, doch das kostet dann mehr als Stroh, weil die Wolle erst noch zu einem Bauprodukt verarbeitet werden muss. Wir wollen aber nicht nur ökologisch, sondern ökonomisch nachhaltige Bauten erstellen.
Der Baustoff Stroh ist direkt und günstig verfügbar, hat aber keine Lobby. Die Gewinnmarge ist zu gering, und entsprechend gibt es keine aufwendigen Marketingkampagnen wie bei anderen Materialien. Stroh ist mutmaßlich sogar der einzige staatlich subventionierte Baustoff, den es auf dem Markt gibt.
Genau. Unsere Gebäude können zwar gleich teuer sein wie Holzbauten, dürfen aber nicht kostspieliger werden als konventionelle Bauten. Denn dann springen die Kunden ab. Es ist eine große Herausforderung, unter diesen Prämissen ein ökologisches Gebäude zu bauen und gleich hohe Kosten zu erreichen.
Kürzlich habe ich in einer Ausschreibung den Vergleich gemacht: Für einen Holzbau mit 36 Zentimetern Wandstärke haben wir die Lieferung und den Einbau von Kleinstrohballen offerieren lassen. Man bot uns den eingebauten Strohballenquadratmeter für 55 Franken an. Als Vergleich haben wir die Glaswolle genommen, die an sich günstig ist. Bei gleicher Wanddicke kostet die Glaswolle pro Quadratmeter geliefert und montiert etwa 70 Franken. In der Analyse der Dämmstoffe, mit denen wir schon gearbeitet haben – Isofloc, Holzwolle, Glaswolle, Steinwolle und Schafwolle – sind wir zum Schluss gekommen, dass die Vorteile des Strohs im Vergleich einfach unschlagbar sind.
Haus G, Mergoscia (Foto © Atelier Schmidt)
Bauen mit nachhaltigen Baustoffen wird in der Schweiz nicht vom Bund finanziell gefördert. Die Förderprogramme drehen sich stets um die Betriebsenergie, also Holzheizungen, Wärmepumpen oder Gesamtsanierungen nach Minergie-Standard.
Bisher spielen Herstellung und Lebensdauer bei diesen Programmen leider keine Rolle. In der Schweiz kann ein Haus theoretisch mit EPS/XPS gedämmt sein und eine Komfortlüftung haben – und es bekommt ein Minergie-Label. Ein anderes Beispiel: Es gibt inzwischen Sanitärhersteller, die mit komplizierten Prozessen Restwärme aus dem Abwasser eines Hauses gewinnen wollen. In diesem Bereich, nur darauf fokussiert, mag das ein Ansatz sein. Aber auch dabei wird mit der Lupe auf die Betriebsenergie geschaut. In der Gesamtsicht ist diese Herangehensweise falsch. Die Herstellungsenergie und die Lebensdauer sind viel wichtiger.
Mir ist in den vergangenen Jahren aufgefallen, dass oft versucht wird, neuartige Dämmstoffe aus Naturmaterialien zu entwickeln. So gibt es Ideen, an Stränden angespültes Seegras zu verarbeiten oder zerhäckselte Jutesäcke aus der Industrie zur Ausfachung zu verwenden. Auch damit werden Reststoffe sinnvoll und ökologisch weiterverwendet.
Auch wenn das so ist, darf man nicht die für die Verarbeitung benötigte Energie und die Transportkosten außer Acht lassen. Stroh ist in den meisten Gegenden in großen Mengen vorhanden, die Logistik dafür stellt gar die Landwirtschaft – und nicht die Bauindustrie! – und es ist kostengünstig. Man kann Dämmmaterialien natürlich auch an Spaniens Küsten suchen, aber das Offensichtliche zu nutzen wäre meines Erachtens sinnvoller. Stroh müsste heute schon viel breiter angewendet werden, weil es alle Kriterien erfüllt.
Wenn das Stroh keine Lobby hat, können wahrscheinlich nur Vorzeigeprojekte, die national und international Beachtung finden, diese Idee verbreiten. Interessieren sich denn auch andere Büros für Ihre Expertise im Bereich Strohbau?
Das passiert, aber eher noch zu wenig. Vor etwa einem Jahr haben uns Herzog & de Meuron für ein Projekt als Fachplaner beigezogen. Das Büro hatte eine aufwendige Analyse zu vielen bekannten Dämmstoffen gemacht, um herauszufinden, wie man Gebäude möglichst nachhaltig isolieren kann. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass sich Stroh zum Weiterarbeiten gut eignet.
In Abwägung der ökologischen und ökonomischen Aspekte wurde entschieden, das Dach mit Stroh und die Wände sowie den Boden mit Zellulose zu dämmen. Kleinstrohballen sind etwa 36 Zentimeter dick und eignen sich gut für den Einbau in eine Holzelementwand. Wenn die Wanddicke geringer ist, können die Strohballen vom Feld nicht mehr direkt genutzt werden. In einem solchen Fall müssen sie aufgeschnitten und gehäckselt werden, damit das Stroh als Einblasdämmung genutzt werden kann. In diesem Vergleich war Zellulose wirtschaftlicher. Bei einem anderen Projekt haben wir aus Brandschutzgründen auch schon mit Steinwolle geplant. Der Gebäudeabstand entsprach nicht der Norm. Jedes Projekt muss man individuell betrachten.
Dieses Resultat entspricht Ihrer Philosophie: Jene Produkte nutzen, die im Kontext am ökonomischsten und ökologischsten sind. Abseits der reinen Nutzung als Dämmmaterial kann Stroh aber auch lasttragend eingesetzt werden, also ganz ohne Holztragwerk. Ist diese Bauweise auch schon auf dem Markt angekommen?
Wir haben Stroh bereits bei verschiedenen Projekten lasttragend eingesetzt. Aber auch hier sind wir mit dem bereits genannten Problem konfrontiert: Die Margen sind gering, die Bauindustrie hat kaum Interesse an derlei Produkten, und es ist schwierig, ausführungswillige Unternehmen zu finden. Es gibt Firmen im EU-Raum, die genormte Baustrohballen nach DIN anbieten. Im Endeffekt ist es das Stroh vom Feld, es wird jedoch ausgeblasen und damit sauberer, aber auch etwa 50 Prozent teurer. Marktwirtschaftlich besteht nicht viel Interesse daran. Das Produkt ist schließlich schon da und man kann es nur künstlich teurer machen.
Ausstellungs- und Bürogebäude der Gartist GmbH in Bubikon (Foto © Atelier Schmidt)
Ihr Einsatz für die traditionellen, natürlichen Materialien wie Holz, Stroh, Lehm und Kalk lässt mich fragen: Sehen Sie in irgendeinem der heute viel genutzten Materialien auch etwas Gutes oder hätten wir uns den Umweg über die Erdölprodukte auch sparen können?
Natürlich verschließen wir nicht die Augen vor der heutigen Zeit! Hinsichtlich der Abdichtung sind Erdölprodukte ein Segen, denn man muss den Wasserschutz weniger konsequent betreiben. Fundamente bestehen meist aus Beton, weil das aus ökonomischer Sicht sinnvoll ist. Auch bei unserem Projekt in Nänikon haben wir uns dafür entschieden, auf eine weiße Wanne zu bauen und nicht auf eine schwarze. Und das deshalb, weil es ökologischer ist. Denn die Konsequenz des nicht wasserdichten R-Betons ist die höhere Herstellungsenergie, wir brauchen dabei nämlich Bitumen.
Würde das Budget keine Rolle spielen, könnte man Gebäude auch wie früher bauen: als Strickbau auf einem Bruchsteinfundament. Wobei wir aus betriebsenergetischen Aspekten heute auch keinen Strickbau mehr darauf setzen würden, sondern vielmehr eine Holz-Stroh-Konstruktion, damit die Herstellungsenergie und die Betriebsenergie gering bleiben.
Bauherrschaften erhoffen sich als Investor*innen häufig eine interessante Rendite. Billig und schnell zu bauen, ist dementsprechend verlockend. Gleichzeitig taucht der Begriff »enkelgerechtes Bauen« immer mehr in der Diskussion auf und Bauherrschaften werden – entweder intrinsisch motiviert oder aufgrund der Nachfrage des Marktes – offener für ökologische Baumaterialien. Kann man beide Wünsche gleichzeitig bedienen?
Die Häuser in Nänikon sind ein Investorenprojekt, und wir konnten mit nachhaltiger Bauweise eine marktgerechte Rendite erzielen. Das beweist, dass Investorenbau auch so betrieben werden kann. Man braucht für diese Projekte Bauherrschaften, die über den eigenen Tellerrand schauen und mit etwas geringerer Nettorendite zufrieden sind. Verkleide ich Bauten mit EPS/XPS, ist die Rendite kurzfristig höher – der Nachwelt ist aber nicht gedient.
Noch einmal: Wenn gesetzlich geregelt würde, dass der Fokus der Förderbeiträge nicht auf dem Betrieb liegt, sondern dass die Herstellungsenergie auch wesentlich ist, kämen andere Ergebnisse heraus. Wie wäre es, wenn jemand, der ein Gebäude mit viel Herstellungsenergie baut, später gezwungen wäre, die Betriebsenergie noch viel weiter zu senken als Ausgleich? Künstliche Dämmstoffe würden uninteressant. Es muss auf gesetzlicher Seite etwas passieren. In Deutschland hat die Regierung unter Olaf Scholz die Förderbeiträge sistiert und will sie neu organisieren. Der Fokus soll weg von der Betriebsenergie. Die Herstellungsenergie soll auch ein Faktor bei der Beurteilung eines Projekts werden. Solange wir auf einem aus Sicht der Natur ungerechten Markt spielen, auf dem nachhaltige mit nicht nachhaltigen Bauprodukten in Konkurrenz stehen, werden Bauherrschaften lieber sechs Prozent Nettorendite erzielen wollen als vier.
Hoffen wir also auf einen wachsenden Kreis an Bauherrschaften, die sich mit dem Thema des enkelgerechten Bauens befassen und nicht nur die kurzfristige Rendite betrachten bei der Materialwahl für ein Gebäude.
Es ist schon sehr schwierig, einen guten Weg zu finden und ein Bewusstsein für ein anderes Bauen auch bei großen Investoren zu schaffen. Deshalb glaube ich auch hier: Der beste Weg ist, die Herstellungsenergie der Betriebsenergie gleichzusetzen in der Beurteilung der ökologischen Werte.
Schlussendlich sollten wir Häuser bauen, die örtlich verwurzelt sind und viele Nutzungen erlauben, damit die Lebensdauer möglichst lang ist. Bisher ist zum Glück keines unserer Gebäude abgerissen worden. Unser Ziel ist, dass ein Haus wenn möglich mehrere hundert Jahre stehen kann. Denn dann ist es nachhaltig. Sonst nicht.
Vielen Dank für das Gespräch.
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